Der kommende Aufstand
überleben.
Vogelgrippe-Alarm: Man verspricht, die Zugvögel im Flug zu
erschießen – hunderttausendfach.
Der Quecksilbergehalt in der Muttermilch ist zehnmal höher
als der in der Kuhmilch erlaubte. Und diese geschwollenen
Lippen, wenn ich in den Apfel beiße – er kam doch vom Markt! Die
einfachsten Gesten sind toxisch geworden. Man stirbt mit
fünfunddreißig Jahren »an einer langen Krankheit«, die man
managen wird, wie man den ganzen Rest gemanagt hat. Man hätte
die Schlussfolgerungen ziehen sollen, bevor sie uns hierher, auf
Station B der Palliativklinik, bringt.
Man muss es zugeben: Diese ganze »Katastrophe«, von der man
uns so lautstark erzählt, berührt uns nicht. Wenigstens nicht,
bevor sie uns mit einer ihrer vorhersehbaren Folgen trifft. Sie
betrifft uns vielleicht, aber sie berührt uns nicht. Und
gerade das ist die Katastrophe.
Es gibt keine Umweltkatastrophe. Es gibt diese
Katastrophe, die die Umwelt ist . Die Umwelt ist das, was
dem Menschenübrig bleibt, wenn er alles
verloren hat. Diejenigen, die ein Viertel, eine Straße, ein Tal,
einen Krieg, eine Werkstatt bewohnen, haben keine »Umwelt«, sie
entwickeln sich in einer Welt, die von Gegenwarten und
Gefahren, von Freunden und Feinden, von Lebenspunkten und
Todespunkten, von allen möglichen Lebewesen bevölkert
wird. Diese Welt hat ihre Konsistenz, die sich je nach
Intensität und Qualität der Bindungen ändert, die uns mit all
diesen Wesen, all diesen Orten verbinden. Nur wir, Kinder der
endgültigen Enteignung, Exilanten der letzten Stunde – die in
Betonklötzen zur Welt kommen, in Supermärkten Obst pflücken und
im Fernsehen auf das Echo der Welt lauern –, bringen es
fertig, eine Umwelt zu haben . Nur wir bringen es fertig,
unserer eigenen Vernichtung so beizuwohnen, als ob es sich um
eine einfache atmosphärische Veränderung handelte. Und uns über
die letzten Fortschritte des Desasters zu empören und geduldig
seine Enzyklopädie zu erstellen.
Was als Umwelt erstarrt ist, das ist eine
Beziehung zur Welt, die auf der Verwaltung aufbaut, das
heißt auf der Fremdheit. Eine Beziehung zur Welt, so, als ob wir
nicht genauso gut aus dem Rauschen der Bäume, den
Bratengerüchen des Wohnhauses, dem Plätschern des Wassers, dem
Stimmengewirr der Schulhöfe oder der Schwüle der Sommerabende
gemacht sind, eine Beziehung zur Welt, so, als ob es mich gibt
und meine Umwelt, die mich umgibt, ohne mich jemals zu
konstituieren. Wir sind Nachbarn in einer planetarischen
Miteigentümerversammlung geworden. Man kann sich kaum eine
vollständigere Hölle vorstellen.
Kein materielles Milieu hat je den Namen »Umwelt« verdient,
außer vielleicht jetzt die Metropole. Digitalisierte Stimmen der
Ansagen, die Straßenbahn mit einem Pfeifen nach Art des
21. Jahrhunderts, bläuliches Licht vonStraßenlaternen in Form von riesigen
Streichhölzern, als misslungene Modepuppen verkleidete
Fußgänger, die stille Rotation einer Überwachungskamera, helles
Klingeln der U-Bahn-Sperren, der Supermarktkassen, der
Bürostechuhren, elektronische Atmosphäre von Internetcafés,
verschwenderische Fülle von Plasmabildschirmen, Schnellstraßen
und Latex. Nie kam ein Dekor so gut ohne die Seelen aus, die es
durchqueren. Nie war ein Milieu automatischer . Nie war
ein Kontext indifferenter und erforderte als Gegenleistung, um
darin zu überleben, eine ebensolche Indifferenz. Die
Umwelt , das ist letztlich nur das: die Beziehung zur Welt,
wie sie der Metropole eigen ist, die sich auf alles projiziert,
was ihr entgeht.
Die Situation ist folgende: Man hat unsere
Väter angestellt, um diese Welt zu zerstören, jetzt will man uns
an ihrem Wiederaufbau arbeiten lassen, und dass dieser noch dazu
rentabel sei. Die morbide Erregtheit, die nunmehr bei jedem
neuen Beweis der Klimaerwärmung die Journalisten und Werbeleute
belebt, enthüllt das stählerne Lächeln des neuen grünen
Kapitalismus, der sich seit den 70er Jahren ankündigte, den man
jeden Moment erwartete und der nicht kam. Nun also ist er da!
Die Ökologie, das ist er! Die alternativen Lösungen, das ist er
wieder! Die Rettung des Planeten, das ist er immer noch! Kein
Zweifel mehr: Grün liegt in der Luft; die Umwelt wird zum Dreh-
und Angelpunkt der politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Zu
jedem Schub von Katastrophismus gehört nunmehr eine Ladung
»industrieller
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