Der Kommissar und das Schweigen - Roman
so seine Gedanken, was die da hinten eigentlich treiben.«
»Ja?«
»Nun ja, ich will auf keinen Fall hier Gerüchte verbreiten. Die Leute haben das Recht, ihre Meinung zu sagen, und sie bezahlen jedes Mal korrekt, was man von gewissen anderen Personen nicht behaupten kann.«
Van Veeteren nickte und überlegte, welche gewisse andere Personen das wohl sein könnten.
»Was haben Sie selbst denn für eine Auffassung davon? Es gibt da ja so einige Gerüchte ...«, versuchte er es aufs Geratewohl.
Fingher kratzte sich im Nacken, wobei ihm die Mütze herunterfiel. Er hob sie auf und stopfte sie in die Gesäßtasche.
»Verdammt, das weiß ich doch nicht. Jedenfalls würde ich meine Kinder denen nicht überlassen, aber mir tun sie nichts Böses, wie schon gesagt.«
»Und Oscar Jellinek?«
Fingher wirkte plötzlich verlegen.
»Ich weiß nichts. Absolut gar nichts.«
»Aber Sie wissen, was so behauptet wird?«
Es war offensichtlich, dass Fingher zwischen seinen eigenen Interessen hin und her gerissen wurde.
»Hrrm«, entschied er sich endlich. »Dass er mit seinen drei Frauen was hat, ja.«
Aha, dachte der Hauptkommissar wieder. Das nimmt ja langsam Formen an.
»Genau«, sagte er. »Und die Mädchen?«
Fingher zuckte mit den Achseln.
»Keine Ahnung. Aber sie baden nackt und treiben auch so einige Sachen ...«
»Ach ja?«
»Ich meine, so wird geredet. Aber ich weiß nichts ... nein, das Beste ist, man lässt sie in Ruhe und kümmert sich um seine eigenen Sachen.«
Kann schon sein, dachte Van Veeteren. Aber wo ich nun schon mal den ganzen Weg hergefahren bin ...
»Wie viele sind dort?«, fragte er.
Fingher sah aus, als würde er nachzählen.
»Ich weiß nicht genau«, sagte er. »Zehn, fünfzehn Stück wohl. Nein, ich weiß es einfach nicht.«
»Fahren Sie auch manchmal nach Waldingen?«
Fingher schüttelte den Kopf.
»Nur selten. Wenn sie bei irgendwas Hilfe brauchen. Da gab es mal Probleme mit der Pumpe, da waren wir vor ein paar Wochen an zwei Nachmittagen dort, aber sonst sind sie es, die zu uns kommen ...«
Van Veeteren holte seine Zigarettenpackung heraus und streckte sie vor, aber sowohl Vater als auch Sohn schüttelten ablehnend den Kopf. Er überlegte, ob er selbst eine nehmen
sollte, entschied sich dann aber stattdessen für einen Zahnstocher. »Wie oft kommen die Eltern zu Besuch?«
»Nie«, sagte Fingher. »Ich habe nie einen erwachsenen Menschen dort gesehen ... außer Jellinek und diesen drei Frauenzimmern. Aber wie gesagt, wir können nichts Schlechtes über sie sagen. Sie haben doch wohl nichts angestellt?«
Van Veeteren antwortete nicht. Er überlegte, ob er weiterhin Fragen aufs Geratewohl abfeuern sollte oder ob es klüger wäre, sie für einen späteren Zeitpunkt aufzubewahren. Falls es notwendig sein sollte.
»Ich komme vielleicht noch einmal wieder«, erklärte er. »Vielen Dank für das Gespräch, Herr Fingher.«
Fingher und Sohn nickten und nahmen die Hände aus den Hosentaschen. Alle vier. Van Veeteren kletterte in sein Auto und setzte seine Fahrt auf dem schmalen Waldweg fort. Als er um die erste Ecke gebogen war, konnte er das Geräusch der Motorsäge wieder hören.
Verdammt, dachte er. Mit allen dreien?
Hätte er eigentlich selber drauf kommen können!
Aber es war wohl ganz einfach so, dass seine sexuelle Vorstellungswelt mit den Jahren ein wenig zusammengeschrumpft war. Was wäre wohl natürlicher? fragte er sich selbst mit düsterer Ehrlichkeit.
Nein, jetzt reichte es mit den Fantasien! Es war Zeit für die Höhle des Löwen.
Oder war es eine Schlangengrube?
Mit den Formulierungen klappt es jedenfalls noch! konstatierte er, als er zwischen die gleichen Fichten einbog wie beim letzten Mal. Ein Trost. Wenn es mit Kratzes nicht klappte, konnte er immer noch mit seinen Memoiren anfangen.
Hauptsache, es gab immer noch eine Alternative ... ob man nun einer Dame oder einem hinterhältigen Läufer gegenüber stand.
Alternative Züge?
Ein Stück blasse Leinwand kam auf ihn zu, und er versuchte eilig seine Bildersprache auf Null zu stellen.
11
Auf dem wackligen Nachttisch gab es ausreichend Platz für alles Lebensnotwendige. Zwei Flaschen Bier, Vollkornbrot, eine kleine Plastikschale mit marinierten Knoblauchzehen sowie ein paar gut bemessene Scheiben Wildpastete. All das hatte er bei Kemmelmann & Söhne gefunden, einem kleinen Laden nur fünfzig Meter unterhalb des Hotels. Und nachdem er festgestellt hatte, dass er tatsächlich bereits alle
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