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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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hervor, schlich zum Schuppen und ergriff das Instrument für
die Fötustransplantation, die ich vornehmen wollte. Die lockere
Erde gab unter den Stößen meines Spatens bereitwillig
nach. Als ich mich dem Samen näherte, ging ich so vorsichtig vor
wie ein Chirurg. Bei einer Tiefe von einem Meter legte ich den Spaten
ganz beiseite und wühlte mit den Fingern in der Erde.
    Das Samenkorn war kompakt, klebrig und warm. Es lag wie eine fette
Schnecke auf meiner Handfläche.
    Ich hatte an alles gedacht. Ich holte einen Glaswürfel mit
einer der Gratistraumkapseln aus meiner Westentasche, die wir in
unserer Suite vorgefunden hatten, nämlich Die Zitadelle der
Schmerzen. Ich klappte den Deckel auf, nahm die Kapsel heraus und
ersetzte sie durch das Samenkorn, das noch nicht gekeimt hatte.
    Eine weitere Wolke kam – ein neuer Prospekt vor dem Mond.
    Aus einem nachträglichen Einfall heraus warf ich den Zitadelle der Schmerzen- Apfel in das Loch und begrub ihn.
    Ich lächelte.
    Es würde fast eine Woche dauern, bis der Gärtner merkte,
daß hier nichts wuchs.
    Und bis dahin…

 
17

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Das Abendmahl
der rekombinierten DNA

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    »Backe backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen«, sang Jonnie, als er unsere Suite betrat und mir die Pastete mit
der tödlichen Füllung vor die Füße stellte.
    Ich befreite mich aus der Umarmung des Lesesessels, hob die
Pastete auf und wog sie in der Hand. Sie war ein kompaktes Backwerk,
nicht größer als die Untertasse, aus der Basil früher
seine tägliche Milch geschlabbert hatte. Die Kruste war braun
und bröckelig – das Terrain eines Kontinents, dem ich unter
keinen Umständen einen Besuch abstatten wollte. Und unter der
Oberfläche befanden sich natürlich eine Handvoll Feigen und
ein ungeborener Baum.
    »In der Küche sind noch dreizehn andere von dieser
Sorte«, erklärte Jonnie. »Na ja, nicht ganz, hähä. Der Regisseur wird sie während der
zwölften Szene in der Ofen stecken, so daß sie bis zur
siebzehnten Szene hübsch warm sind.«
    »Ich will ehrlich sein, Jonnie. Ich hab noch mal über
die Sache nachgedacht – mehr als einmal. Irgendwas wird
schiefgehen, ich weiß es. Du wirst ihm die falsche Pastete
geben.«
    »Höchst unwahrscheinlich«, sagte er, wobei ihm die
Selbstsicherheit aus allen Poren triefte. »Du erinnerst dich
doch an den Rest des Liedchens, oder? Wer will einen Kuchen
backen, der muß haben sieben Sachen… Schau dir die
Kruste an.«
    Dort war eine 7 eingeritzt. »Wofür steht die 7?«
fragte ich und wünschte, daß Iggi hier wäre, um diese
ganze Verschwörungsgeschichte in die Hand zu nehmen.
    »Für alles, was du willst. Für die sieben
Urkräfte des Göttlichen. Oder für den siebten Kreis
der Hölle.«
    »Zucker und Schmalz…«, sagte ich.
    »Gott erhalt’s«, schloß Jonnie, ganz der
Alptrinker.
    Als mein Freund gegangen war, wurde mir klar, daß es noch
vierzig Stunden bis zum Bankett waren. Vierzig Stunden, um die
vierzig Möglichkeiten vorwegzunehmen, wie unser Komplott
scheitern konnte. (Was war, wenn Kusk keine Feigen mochte?) Vierzig
Stunden, in denen ich mich nicht aus der Suite wagen würde, weil
ich Angst hatte, auf Kusk zu treffen und die ganze Sache
unabsichtlich zu verraten. (Sagen Sie, Baron, was für Pasteten
mögen Sie eigentlich am liebsten?)
    Wie sollte ich die Zeit herumbringen? Mit weiteren Gesprächen
mit Jonnie? Wohl kaum. Jetzt, wo die Stunde Null herannahte, geriet
Torin allmählich in Panik. Er ließ seine Schauspieler nur
dann aus dem Bankettsaal heraus, wenn Prill darauf bestand, die
Sitzordnung zu proben und die Servierprozeduren durchzugehen. Und
selbst in diesen Zeiträumen hielt er die Truppe zusammen. Er
ließ sie im Fahrstuhlschacht proben.
    Ich beschloß, meine selbstgewählte Gefangenschaft mit
einer Traumtour zu verbringen. Der Stapel von Gratisäpfeln auf
dem Bücherbord wurde stetig kleiner. Darauf bedacht, nicht an
eine Lotoskapsel zu geraten, suchte ich mir nur solche Titel aus, die
ich bereits kannte. So kam es, daß ich Die Kröte der
Nacht aß und zum zweitenmal in meinem Leben ein gesundes
junges Mädchen wurde. Ich aß Bekannte Mengen und
verwandelte mich wieder in einen empfindungsfähigen Roboter. Und
so ging es weiter; Kapsel auf Kapsel gab ich meine Wirklichkeit
zugunsten von Seligs Biotechnologie auf.
    Ich hatte eigentlich vor, das Bankett selbst als der todkranke
Marathonläufer in Sechsundzwanzig Meilen bis zum großen
Schlaf hinter mich zu bringen. Wenn ich dann wieder Quinjin war,
würde ich

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