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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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einfach in der Suite auf und ab laufen, bis Jonnie mit
der erwarteten guten Nachricht auftauchte. Eine Stunde vor dem
Ereignis erschien jedoch Kusks Gesicht im Spiegel, und gleich darauf
folgte eine unerwartete Einladung.
    »Unser Semesterabschlußbankett wird nicht so gut
besucht sein, wie ich angenommen hatte«, sagte Kusk. »Am
Tisch ist noch ein Platz für Sie frei.«
    Die Frage war natürlich, was Kusks Argwohn eher erregen
würde: meine Ablehnung, am Bankett teilzunehmen, oder mein
unvermeidliches Herumgezappel, wenn ich dort war. Ich beschloß,
es mit dem Herumgezappel zu riskieren.
    »Ich warne Sie, Baron Kharsog, mein Appetit ist wirklich
verboten. Kann sein, daß Ihnen das Essen ausgeht.«
    »Das steht nicht zu befürchten, Euer Gnaden. Aber
zunächst bestehe ich darauf, daß Sie mir bei einem
Aperitif Gesellschaft leisten. Ich werde den Met aufmachen.«
    »Den Met?« fragte ich.
    »Ich habe hier früher Bienen gezüchtet«,
erklärte er, »bis Horg sie mit seinen verdammten
Insektiziden alle aus Versehen umgebracht hat.«
    Obwohl Kusk mir Met versprochen hatte, bekam ich wieder nur die
üblichen unlogischen Ableitungen und mystischen Slogans zu
hören, als ich in seinem Arbeitszimmer eintraf. Das deprimierte
mich. Ein Malzrausch, dachte ich, oder ein Rausch gleich welcher Art
würde sicherlich der Zustand sein, in dem das Bankett am
leichtesten zu ertragen war.
    »Der Gothist kennt die totale Wahrnehmung«, sagte Kusk,
der auf seinem Thron saß. »Der Gothist lernt, von seinem
Schmerz Notiz zu nehmen, ihn zu lieben und zu meistern. Wir alle
leben ständig in unerträglichen Schmerzen – haben Sie
das schon gewußt, Euer Gnaden? –, aber jeder Spasmus ist
so kurz, daß wir normalerweise gar nichts davon merken. Nun
– hatte ich recht? Hat sich Ihre Tochter geweigert, in den Zug
zu steigen?«
    »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen«, erklärte ich,
wobei ich die Wahrheit sagte, »sie hat geschlafen.«
    »Zweifeln Sie nicht daran, mein Erzbischof, Lilit ist jetzt
ein Teil von Goths Fleisch und Blut.« Kusks selbstzufriedenes
Gesicht ließ mich an einen Gockel mit Zähnen denken.
    Da mir das gegenwärtige Thema zuwider war, bemühte ich
mich, es zu wechseln. »Der Grund für Ihre Einladung –
Sie sagten, es hätte eine Reduzierung der Gästeliste
gegeben?«
    »Eine dramatische Reduzierung«, bestätigte Kusk und
nickte. »Gestern ist im Schlafsaal eine ansteckende Krankheit
ausgebrochen. Alle meine Schüler stehen unter
Quarantäne.«
    Konnte es sein, daß Kusk log? Konnten sich Bankdirektoren
die beste Butter leisten?
    Aber warum gerade diese Lüge? Was für ein Spiel spielte
er?
    »Tatsächlich ist es so«, fuhr mein Gastgeber fort,
»daß wir beiden die einzigen Gäste beim Bankett sein
werden.«
    Meine Angst – heftig und geheim, ihre harten Finger
drückten auf mein Gedärm – hätte mich fast zu der
Frage verleitet: Und was ist mit dem Stück? Aber nein,
ich durfte kein ungewöhnliches Interesse an diesem Thema
bekunden.
    In diesem Moment kümmerte es mich nicht mehr, ob die Frage
nach einem Drink dreist wirken würde. »Sie haben etwas von
Met gesagt.«
    Kusk stand auf und ging zu den Bücherregalen hinüber, wo
zwei warzige Karaffen, die beide mit einer bernsteingelben
Flüssigkeit gefüllt waren, zwischen Madame Blavatskys Die entschleierte Isis und Rudolf Steiners Geheimwissenschaft standen. Kusk holte die Karaffen heraus,
stellte eine auf die linke Armlehne seines Throns und kam mit der
anderen zu mir. Wie ich nun feststellte, diente der Deckel auch als
Glas. Er schenkte mir ein, kehrte zu seinem Thron zurück und
schenkte sich selbst ein.
    Wir sprachen miteinander. Oder vielmehr, Kusk sprach und ich
hörte zu.
    Er sprach von der ›präkognitiven Klugheit‹, die
seine Bäume der Menschheit verleihen würden.
    Er sprach von seinen Plänen, Goths Kirche mit dem
eindrucksvollsten Aufgebot von Sakramenten, Opfergaben, Trankspenden,
Heiligen, Sünden, Hymnen, Märtyrern, Reliquien,
Nebengöttern und Feiertagen auszustatten, die eine Religion je
aufzuweisen gehabt hatte.
    Er sprach davon, daß er mir die Verantwortung für Schweine für den Markt und den Krüppel übertragen werde, sobald die Hamadryade abgeerntet sei.
    Der Met war warm und schmeckte ein wenig wie Medizin. Gar nicht
unangenehm. Als ich mein zweites Glas an die Lippen setzte, merkte
ich, daß ich ziemlich betrunken war.
    »Ihre Bienen sind nicht umsonst gestorben«, nuschelte
ich. Der Raum kam mir feucht und wabbelig vor. Ich

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