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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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konzentrierte mich
auf Kusks Zoo – auf einen Schwarm zinnoberroter Spinnenfische,
die wie rote Blutzellen mit rhythmischen Bewegungen in ihrem Aquarium
herumschwammen. Ein paar Sekunden lang hatte ich mit der
Täuschung zu kämpfen, daß seine Haustierchen alle aus
ihren Käfigen herausgekommen waren. Dann ließ der
stärkste Rausch langsam nach.
    »Auf zum Bankett!« sagte Kusk.
     
    Ich dachte: Der Korridor sieht noch dunkler aus als beim
letztenmal – trübt mir der Met etwa den Blick? Nur Kusks
Hand auf meiner Schulter verhinderte, daß ich gegen die
zylindrische Wand lief. Prill stand am Ende des Korridors und
versperrte uns den Weg, damit er ihn mit großer Geste freigeben
konnte, als wir uns näherten.
    Sobald wir den Bankettsaal betraten, wurde der Grund für die
Dunkelheit offenbar. Jemand hatte die Sonne abgeschaltet. Das einzige
Licht kam von dem Gestaltwandlungsfeuer, das nervös im Kamin
loderte, und von dem halben Dutzend Kandelaber auf der Tafel, die
alle so geformt waren, daß sie einem Schlingbaum glichen. Die
Äste umklammerten plumpe rote Kerzen. Die Reflektionen der
Flammen spielten über den polierten Marmor. Goldene Teller waren
um die Tafel herum gedeckt, sechs auf jeder Seite, eine Anordnung,
bei der die sechs Kandelaber wie ebenso viele Bankettgäste
wirkten. Das Geschirr war mit Möbiusbändern verziert.
    Ein dreizehnter Goldteller stand am nahen Ende der Tafel, wo Prill
mich plazierte, und ein vierzehnter Teller am anderen Ende, wo Kusk
nun Platz nahm. Er war so weit von mir entfernt, daß wir die
Tafel gleichzeitig für zwei Psychobillard-Solospiele hätten
benutzen können, ohne daß die Kugeln durcheinandergeraten
wären. Sein Gesicht sah aus, als ob es einen Verband aus
Schatten hätte.
    Ebenso wie der Met trug die Tatsache, daß die vertraute
Bühne noch da war, viel dazu bei, meine Nervosität zu
dämpfen. Die Show würde also offenbar weitergehen.
    »Es wird immer Bankette geben«, sagte mein unsichtbarer
Gastgeber. »Sie sind wie Traumkapselorgien. Wenn das jeweilige
Gericht, das auf den Tisch kommt, nicht nach Ihrem Geschmack ist,
wird Ihnen das nächste vielleicht mehr zusagen. Das Medium ist
unsterblich.«
    Ich antwortete nicht, sondern starrte auf mein Gedeck. Nach den
Gegenständen zu urteilen, die dort lagen, würde das Mahl
kaum die Erwartungen erfüllen, die das Wort Bankett normalerweise weckte. Da war ein Dinnermesser, aber kein
Buttermesser, eine Gabel für den Hauptgang, aber keine
Salatgabel, ein Rotweinglas, aber kein Sektglas, ein
Suppenlöffel, aber kein Dessertlöffel. Das Fehlen des
Dessertlöffels beruhigte mich; es deutete darauf hin, daß
es als Nachtisch Pastete geben würde, und nicht Eiskrem oder
Pudding. Dessertgabeln hätten den Fall endgültig
geklärt, aber leider waren keine zu sehen.
    Prill verschwand durch die von den Greifen flankierte Tür und
kam gleich darauf mit einer goldenen Servierplatte wieder, deren
ovaler Rand von eingravierten Insekten wimmelte. Die Servierplatte
lag auf einem Antigravitationskissen. Ein ganz leichter Stups von
Prills Zeigefinger reichte schon, um sie vorwärtszubewegen.
    Auf der Platte standen zwei Suppenschüsseln. Dampf stieg von
ihn auf wie der Morgennebel vom Schlammparadies. Kusk bekam seine
Suppe natürlich zuerst. Nachdem meine Schüssel vor mich
hingestellt worden war, hob ich meinen Löffel und hielt mitten
in der Bewegung inne. Ich wußte, daß ich die
Oberfläche der Suppe nicht berühren durfte, bevor mein
Gastgeber zu essen begonnen hatte. Außerdem war es durchaus
denkbar, daß Goth der Herr ein Dankgebet von mir erwartete.
    »Bei einem Ewigen Bankett finden sich die geladenen
Gäste nicht immer ein«, dröhnte er. Ich konnte an den
Geräuschen erkennen, daß Suppe in seinen Mund gelangte.
»An manchen Abenden haben wir hier viele Gäste. Heute abend
sind natürlich nur Sie anwesend. Probieren Sie Ihre
Suppe.«
    Ich tat es. Es war eine quecksilbrige Substanz, die dazu neigte,
vom Löffel zu glibbern und wieder in die Schüssel zu
entwischen. Sie roch wie Katzenfutter – ein Erzeugnis, das ich
schon zu mir genommen hatte, als ich darauf wartete, daß
Honorare von Traumkapseln Entschlüsselt bei mir eingingen
– und schmeckte noch schlimmer. Ich brachte nicht mehr als eine
halbe Schüssel hinunter.
    Als Prill das nächstemal erschien, sah ich dankbar, daß
er zwei Flaschen Rotwein vor sich hertrug. Der Wein blieb ebenfalls
beträchtlich hinter den Erwartungen zurück, die ein Gourmet
in ihn setzen würde;

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