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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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daß seine Jongleure eine Thyestes- Variante aufführen würden«, sagte der
Baron, »schlug ich die Legende nach und studierte sie. Daraufhin
wurde mir klar, daß sie die perfekten Voraussetzungen für
eine Lotoskapsel enthielt. Und dann – kaum zwölf Stunden,
nachdem ich Ihnen eine Erzdiözese angeboten hatte – befahl
mir das Schicksal, in meiner Bibliothek herumzustöbern, und als
ich Ihr Bild sah und das ganze Ausmaß Ihrer Treulosigkeit
erkannte, da wußte ich, daß der Traum – Ihre Strafe
und meine Rache – so schnell wie möglich in Produktion
gehen mußte. Wohlverdienter Nachtisch nenne ich
ihn.«
    »Die Quarantäne war also ein Trick, um mich dazu zu
bringen, mit Ihnen zu trinken, was, Kusk?«
    Kusk ignorierte meine These und bewies damit, daß sie
stimmte.
    »Natürlich bin ich begierig zu erfahren, wie es kommt,
daß ein zweitklassiger Kritiker so viel über Dinge wie den
Lotosfaktor, den Standort dieser Burg und meine frühere
Identität weiß«, sagte er. »Und ich bin genauso
begierig zu erfahren, wie es kommt, daß sein Kind von meiner
Hamadryade ißt.«
    Das Laserskalpell, das Kusk jetzt aus seinem Gewand zog, war
phallisch, versilbert und so stark poliert, daß es einen
strahlenden Glanz hatte.
    »Aber ich werde mich in Geduld fassen, Quinjin«, fuhr er
fort. »Wenn ich Sie erstmal auf den Operationstisch schnalle und
anfange, Sie ins Gehirn zu zwicken, wird Ihnen die ganze Geschichte
wie ein Sturzbach über die Lippen kommen. Es stimmt, Sie sind
kein Schlingbaum. Trotzdem, das kriege ich schon hin.«
    Ein blauer Strahl zuckte auf mich zu, durchbohrte mein Ohr und
brannte sich ins Kissen. Die Lache unter meinem Kopf zischte. Mein
verletztes Ohrläppchen tat weh.
    Ich hatte nicht gewußt, daß man jemanden so sehr
hassen kann.
    »Ich werde Ihre Neugier sofort stillen«, krächzte
ich. »Ihre Probleme begannen, als ein Exemplar des lauernden
Lügners den Weg zur Wendcraft-Universität fand –
und von dort in meinen Magen.«
    Die Pockennarben in Kusks Gesicht verdunkelten sich. »Prill
sollte den Apfel Selig geben! Nimmt der Verrat in diesem Universum
denn gar kein Ende?«
    »Oh, Selig hat den Apfel bekommen, das schon. Aber er hatte
Angst, ihn selbst zu essen.«
    »Das habe ich erwartet. Trotzdem, es gab immerhin eine
Chance, meinen ältesten Feind in meinen ersten Jünger zu
verwandeln. Zumindest bin ich sicher, daß ich ihm Angst eingejagt habe.«
    »Ja, er hat Rotz und Wasser geheult.«
    »Nun, Quinjin, es hat den Anschein, als würde ich eines
jener seltenen Individuen vor mir sehen, die gegen Lotoskapseln immun
sind. Aber wenn meine Bäume Sie schon nicht bekehren konnten, so
wird es meinem Messer bestimmt gelingen. Sobald ich mit Ihren
Gedächtnisneuronen fertig bin, werde ich die Gewebe stimulieren,
in denen der Glaube geboren wird, und jene entfernen, in denen Ihr
unorthodoxes Denken schwärt. Ich werde…«
    Was ich als nächstes tat, hatte ich im wirklichen Leben noch
nie getan, obwohl ich es wahrscheinlich in mehr als hundert
Zephapfelträumen getan hatte. Ich ballte eine Faust und benutzte
sie, um jemandem einen Kinnhaken zu versetzen. Kusk nämlich. Ich
mußte sofort an Unbekannte Parseks und deren
prahlerischen Held, Broc Hornlaster, denken.
    Auf einen solchen Akt der Gewalt von einem ›zweitklassigen
Kritiker‹ war Kusk nicht vorbereitet. Er ging betäubt zu
Boden.
    Ich stürzte mich im besten Broc-Hornlaster-Stil auf meinen
Feind. Der fletschte die Zähne. Ich packte das Laserskalpell und
riß heftig daran. An diesem Punkt endete die Ähnlichkeit
zwischen Hornlaster und mir. Während Broc das Ding zweifelsohne
aus Kusks Griff befreit hätte, rührte es sich bei mir
keinen Zentimeter von der Stelle.
    Meine Hand glitt von Kusks Skalpell zu seiner Taille.
    Meine Finger suchten die Schnalle seiner Fahrstuhlsteuerung. Es
dauerte nur ein paar Sekunden, dann gehörte der
Zaubergürtel mir.
    Bevor ich durch die dicke Türöffnung springen konnte,
war Kusk auf den Beinen und zielte mit dem Skalpell auf meinen ihm
zugekehrten Rücken. Der Strahl traf meine linke Schulter und
bohrte ein sauberes Loch von hinten nach vorn. Ich
begrüßte den Schmerz und freute mich über den Anblick
meines guten roten Blutes.
    Schmerz. Blut. Diese Dinge sagten mir, daß meine Sache
gerecht war. Ich würde zum Gewächshaus hinauffahren –
das war meine Sache. Ich würde mir eine Heckensichel besorgen.
Ich würde die Burg durchsuchen. Ich würde Kusk finden. Und
wenn es die Umstände erlaubten, würde ich

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