Der Kontinent der Lügen
sage ja! Macht menschliches Blut den Wein
salzig? Ganz recht! Kann menschliches Fleisch gewürzt und
gebraten werden, bis es nach Rindfleisch schmeckt? Wieder
richtig!«
Und in meinem Innern: Panik, die sich in alle Glieder
ausbreitete.
Und Kusk: »Glauben Sie, Sie selbst seien unfähig zu
einer solchen Scheußlichkeit? Thyestes erlag dem gleichen
Irrglauben.«
Die Übelkeit wurde so stark, daß ich mich fast
übergeben mußte; das Entsetzen bohrte nach Tränen und
fand sie auch.
Wachs rann an den Kerzen herunter.
»Bleibt noch die Frage: Wer ist es? Ach, aber das
wissen Sie ja bereits. Wollen Sie Ihre schlimmsten Befürchtungen
bestätigt bekommen? Na schön, dann wollen wir meinen Diener
noch einmal hereinrufen. Aber ich warne Sie, bei diesem Bankett
machen wir Atreus’ Fehler nicht – wir wissen, wie wir die
vollkommene Rache verüben müssen! Ober – zeig meinem
Gast, wen er am meisten liebt!«
Lilit ist in Ushumgallum, redete ich mir ein. In Ushumgallum! In
Ushumgallum! Und doch, woher sollte man wissen, ob Kusk dem Zug nicht
einen Trupp seiner Lakaien vorausgeschickt und ihnen befohlen hatte,
die Führungsschiene in die Luft zu sprengen, Lilit zu
entführen und sie in die Festung zurückzubringen?
Prill kam mit der goldenen Servierplatte zur Tür herein und
ging an den Greifen vorbei.
Warum sollte Kusk mir das antun? Mir – seinem erwählten
Erzbischof!
Auf der Servierplatte lag ein menschlicher Kopf. Im Kerzenlicht
war das Gesicht nicht genau zu erkennen. Eine Aureole aus Blut umgab
das Genick.
Und auf einmal war der Baron an meiner Seite; wie eine dicke Wespe
hing er neben mir. »Ja, deine Sünde ist zu schlimm, als
daß man sie beim Namen nennen könnte. Deine Schuld
könnte eine Sonne zermalmen. Aber dann, wenn man die Hoffnung
auf immer verloren glaubt, erscheint der einzig wahre Gott. Sieh mich
– sieh alles an mir. Meine Augen sind die Kerzen auf der
Altar des Verlorenen Wissens. Meine Zähne sind die
mondbeschienenen Kiesel, die dich durchs Tal des Chaos führen.
Meine Zunge ist der Bimsstein, der den Beschlag von deiner Seele
scheuert. Meine Namen sind Kharsog, Pazuzu, Tiamet, Humwawa und Goth.
Sag, daß Goth dein einziger Gott ist, und deine Schuld wird von
dir genommen!«
Prill kam näher. Das Gestaltwandlungsfeuer erfaßte die
Servierplatte und sprühte goldene Lichtfäden über das
körperlose Gesicht meiner Tochter.
Ich begann: »Mein einziger Gott…«
Aber weiter kam ich nicht.
18
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Wohlverdienter
Nachtisch
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Weiß, weiß, weiß, weiß, weiß,
weiß: Alle sechs Innenflächen meiner Zelle waren
weiß. Ein weißer Fußboden. Eine weiße Decke.
Nordwand, Ostwand, Südwand, Westwand: weiß.
Das Bett, in dem ich lag, war ebenfalls weiß. Weiße
Laken, weiße Decke, weißes Kissen. Weißes
Kopfbrett.
Ich selbst war auch im wesentlichen weiß. Ich trug einen
weißen Kittel, unter dem ich völlig nackt war. Die
Fahrstuhlsteuerung hatte man mir abgenommen. Mein Kopf lag in einer
Lache meines eigenen Schweißes. Der Schweiß fühlte
sich weiß an.
»Hier bin ich noch nie gewesen«, sagte ich laut und zu
niemandem im besonderen. Ich atmete ein und stellte fest, daß
die Luft von einer aufdringlichen, unangenehmen Sauberkeit
erfüllt war.
»Hierhin bringt man dich, wenn du deinen Vater
ißt«, sagte eine männliche Stimme. Sie klang jung,
aber von einem Trauma gebrochen.
Bis zu diesem Augenblick hatte ich das zweite Bett noch gar nicht
bemerkt. Ich drehte den Kopf und erkannte meinen Zimmergenossen
sofort: Es war Creegmoor, der Schüler, der nach Kusks
neurochirurgischer Demonstration im Hörsaal aufgeräumt
hatte. Seine Augen erinnerten mich an die von Marta Rem – sie
waren heiß und gehetzt und zuckten nervös hin und her.
Seine Finger, die verschränkt auf seiner Brust lagen, zitterten
wie träumende Würmer.
»Du leidest an Wahnvorstellungen«, sagte ich fest.
»Kharsog hat einen speziellen Traum an dir getestet. Eine
Lotoskapsel.«
»Man sollte ihn Goth nennen«, sagte der Schüler.
»Goth ist der richtige Name des Barons. Mein einziger Gott ist
Goth.«
»Dein einziger Gott ist Schall und Rauch.«
Indem ich Creegmoors Symptome so interpretierte, versuchte ich
natürlich, mir selbst einzureden, daß meine eigene
Sünde auf die gleiche Weise rational erklärt werden konnte.
Für diese Theorie sprach jedoch noch viel mehr als mein
Bedürfnis, an sie zu glauben. Stand nicht an oberster Stelle
meiner Erinnerungen aus jüngster Zeit ein lebhaftes Bild
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