Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
schießen. Ein Polizist neben ihm fertigte eine Skizze an, während ein Hundeführer rechts von ihm mit seinem Schäferhund beschäftigt war. Das Tier trottete hin und her, als würde es den Linien eines Gitters folgen, beschnüffelte die Blätter vor ihm und arbeitete sich auf das Wasser zu. Unten am Ufer, nur als schwarzer Umriss vor dem Lichtschein der IOCO-Raffinerie zu erkennen, suchte ein Polizist mit einem Metalldetektor den Sand ab.
»Ich habe Sie rufen lassen«, sagte MacDougall, »einfach, um auf der sicheren Seite zu sein. Der Tatort war bereits beschädigt, ehe wir den Anruf erhielten. Die Knochen sind von zwei kleinen Mädchen entdeckt worden, die ihrem Vater von dem Fund berichtet haben. Statt uns gleich zu rufen, ist er zuerst hierhergegangen, um sich das selbst anzusehen. Er hat auch die Blätter, den Schlamm und die Äste von dem Grab weggeschafft. Als wir hierherkamen, war es bereits dunkel.«
Sergeant MacDougall wies Rodale zu einer mit Seilen markierten Stelle. Ein Scheinwerferbalken von einer der Bogenlampen ließ den Boden weiß erscheinen. In dem abgegrenzten Quadrat sah der Corporal etwas, das wie ein seichtes Bachbett unter einer Menge Knochen aussah. Obwohl das Fleisch schon lange vom Oberkörper des Skeletts abgefault war, hatten die Hosen, die am unteren Teil der Beine klebten, etwas Haut und Muskelgewebe konserviert. Hier waren die Maden noch am Werk.
»Ich möchte, dass Sie diesen Tatort, sobald es hell geworden ist, unabhängig bearbeiten. Nur zur Sicherheit. Ich möchte, dass alles zweimal gemacht wird. Dazu gehört auch, dass die Erde im Umkreis von 200 Metern durchgesiebt wird. Wenn hier tatsächlich das passiert ist, was ich annehme, können wir gar nicht vorsichtig genug sein. Sehen Sie, was ich meine?«
»Ja«, nickte Rodale. »Der Schädel fehlt.«
Mittwoch, 27. Oktober, 10:34 Uhr
Zeitungsleute wie »Skip« O’Rourke gibt es heute nicht mehr. Zu schade.
Der Skipper war ein rundlicher Mann, der früher einmal in Ihrer Majestät Navy gedient hatte und heute stolzer Besitzer eines durch Guinness-Bier herangezüchteten Bauchs und einer Tätowierung aus Taiwan war. Die Tätowierung war ein Andenken an die Gefahren des zu vielen Trinkens, denn als O’Rourke, bevor man ihm die Entlassungsurkunde überreicht hatte, von seinem letzten Landurlaub wieder nüchtern geworden war, hatte er plötzlich das Nadelportrait auf seinem linken Unterarm. Wie er dazu gekommen war, wo er dazu gekommen oder weshalb er dazu gekommen war – von all dem hatte O’Rourke nicht die leiseste Ahnung. Er wusste nur, dass er das Ding von dem Augenblick an gehasst hatte, als seine nüchternen Augen es zum ersten Mal erblickt hatten. Die Tätowierung zeigte Popeye, den Seemann, mit einer Dose Spinat in der Hand.
Heute trug O’Rourke, wie immer, eines seiner langärmeligen Hemden.
Er saß, den Zigarrenstummel im Mund, an seinem Schreibtisch in der City-Redaktion und sah sich Korrekturabzüge an, als Edna von links auf ihn zukam. Edna war eine magere, flachbrüstige Frau. Für Skip O’Rourke sah sie aus wie die Reinkarnation von Olive Oyl, der legendären Popeye-Freundin.
»Das ist gerade gekommen«, sagte Edna mit ihrer Quiekstimme. »Jemand hat Persönlich: Nur zu Händen des Redakteurs draufgeschrieben.« Sie hielt einen braunen Umschlag in der Hand.
»Leg’s in den Korb. Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?«
»Ja, Sir «, quietschte Edna. Dann kehrte sie schnaufend in die Poststelle zurück. Der Skipper gab nur einen Grunzlaut von sich, lächelte aber innerlich. Der Headhunter, dachte O’Rourke. Ja, so werden wir ihn nennen, denke ich. Headhunter. Das geht so richtig ins Ohr.
Skip O’Rourke war ein Redakteur, der noch aus der Saurierschule stammte. In diesen Zeiten der Bildschirmgeräte (Monitore für die, die sich auskannten), von Rollenoffset und computergestützter Bildmontage sehnte sich O’Rourke nach der guten alten Zeit mit den gelben Manuskriptseiten und dem Bleisatz. Für den Skipper hatte das Wort »Knüller« noch einen mystischen Klang. Gott sei Dank gab es wenigstens noch Korrekturabzüge, so wie früher.
Korrekturabzüge waren die erste Fassung, ehe alles in den Druck ging – und O’Rourke las sie jeden Tag mit einer ans Religiöse grenzenden Gewissenhaftigkeit. Man konnte nie wissen, zu welchen Peinlichkeiten ein Druckfehler führen konnte.
Als er fertig war, lehnte sich der Skipper zurück und legte seine Beine auf den Schreibtisch. Er riss mit dem Daumennagel ein
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