Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
und lehnte sich zu seinem Tisch hinüber.
»60 für eines«, sagte der Indianer. »Komm in fünf Minuten nach hinten.«
Dann stand der Mann ruckartig auf und ging schnell weg.
17:45 Uhr
Das kleine Mädchen lachte, es war höchstens fünf Jahre alt. Es trug einen wasserdichten Schneeanzug, der es vom Kopf bis zu den Zehenspitzen einhüllte. Sein Gesicht war gerötet, es hatte rosa Backen und an ein paar Stellen lugten rote Locken unter der Kapuze hervor. Vergnügt quietschend und lachend hastete es den Abhang hinab, teils laufend, teils rutschend, teils rollend. Jeder Fingerbreit seiner Kleidung war mit dickem, feuchtem Schlamm verklebt.
»Warte doch, Cindy!«, schrie seine Schwester hinter ihm her. Sie war fast sieben und deshalb etwas reservierter. So ist das, wenn man älter wird.
Sie hatten von der Hügelkuppe aus das zerfetzte Zelt gesehen. Der Hügel war in North Vancouver, keine 500 Meter von ihrem Haus entfernt. Es begann schon dunkel zu werden und die Tannen warfen lange Schatten über den Abhang, die bis zum Wasser hinunterreichten. Dianne mochte die Schatten nicht, aber Cindy machte das nichts aus. Sie war einfach vorausgerannt.
»Warte doch, habe ich gesagt!«, schrie Dianne und rutschte neben ihre Schwester. Sie brauchte eineinhalb Meter, um anzuhalten. »Wer glaubst du denn, wer hier wohnt?«, fragte das ältere Mädchen.
»Oscar aus der Mülltonne, du Nasenpopel«, erwiderte Cindy.
Als sie sich geduckt dem Zelt näherte, flüsterte Cindy leise: »Oscar, hey, Oscar, versteckst du dich dort drinnen vor mir?« Dann versank ihr Fuß plötzlich bis zum Knöchel im Schlamm.
»Wie man nur so blöd sein kann, Cinders. Dort fließt doch der Bach.«
Das kleine Mädchen achtete nicht auf sie und machte einen weiteren Schritt. Aber das nützte nichts. Sein linker Fuß rutschte aus dem Gummistiefel und ein paar Sekunden lang stand es da und fuchtelte wie ein Trapezkünstler, der dabei ist, das Gleichgewicht zu verlieren, mit den Armen. Dann geschah das Unvermeidliche – Cindy kippte mit einem schrillen Schrei um. Mitten in den Schlamm.
»Mann, du wirst was erleben! Warte nur, bis Mom deine Kleider sieht.«
Cindy rappelte sich hoch und schaffte es schließlich, wieder aufrecht zu stehen. Sie bückte sich, packte die Oberseite ihres Gummistiefels und zog heftig daran. Mit einem schmatzenden Geräusch gab der Schlamm den Stiefel frei – aber das Mädchen fiel sofort wieder hin. Nur dass es diesmal nicht aufstand. Stattdessen starrte es mit Augen so groß wie Suchscheinwerfer auf den Boden, denn dort, wo ihr Stiefel den Schlamm aufgerissen hatte, als sie ihn aus dem Boden zerrte, ragten jetzt Rippenknochen gleich einer klammernden Hand aus ihrem flachen Grab.
20:05 Uhr
Sie hatten Fackeln aufgestellt, um den Weg zum Tatort zu markieren, aber es war trotzdem dunkel im Wald, und das Unterholz wirkte bedrohlich. Der Himmel über ihnen war in dieser Nacht klar, eine Million Sterne wie Nadelspitzen im Weltraum, doch der Boden war durch die Nebelschwaden, die wie tastende Finger darüber hinwegzogen, teilweise nicht mehr zu sehen. Ein Stück weiter vorne stand eine Gruppe Männer im grellen Licht der Scheinwerfer, alle außer einem in Uniform und alle mit Plastikbechern in der Hand. Der Dampf des Kaffees vermischte sich mit dem vom Grund aufsteigenden Nebel.
Als Corporal Rodale auf die Gruppe zuging, wandte sich der Mann in Zivil ihm zu. »Sind Sie das, Rodale?«, fragte eine Stimme mit einem Anflug von Strenge und Autorität.
»Ja, Sir«, antwortete der Corporal und trat aus den Schatten.
»Gut. Ich möchte, dass Sie sich das ansehen. Ich glaube, wir haben ein Problem.«
Der Mann, der das sagte, war nur eine schwarze Silhouette vor dem tragbaren Scheinwerfer. Er war Anfang 50 und erreichte nur knapp die von der RCMP vorgeschriebene Mindestgröße. Als Rodale neben ihn trat, wanderte das Licht, sodass man jetzt zwei intensiv blaue Augen über einem sauber gestutzten, militärischen Schnurrbart sehen konnte. Der Mund des Mannes straffte sich ernst und entschlossen. Er trug einen blauen Blazer und eine graue Flanellhose. Auf die Brusttasche des Blazers war das Wappen der Mounted Police aufgenäht, ein Büffelkopf unter einer Krone, umgeben von Ahornblättern. Der Name des Mannes war Jack MacDougall.
Corporal Rodale hielt einen Augenblick inne, um sich von dem Geschehen ein Bild zu machen. Ein Mann von der Spurensicherung aus dem Revier North Vancouver war bereits damit beschäftigt, Fotos des Tatorts zu
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