Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
seinen Kumpels sagen muss, was für Comic-Hefte sie für ihn kaufen sollen, während er vor dem Drugstore wartet, dann kriegen Achtjährige ganz schnell spitz, dass da etwas nicht stimmt. Achtjährige haben auch dieses Bedürfnis, die Welt in Ordnung zu bringen.
Ich nehme an, dass Jimbo deshalb den Fehler gemacht hat.
Du musst wissen, wir waren an einem schönen Aprilnachmittag zum Queen Bee Market gegangen – Corry und Jimbo und ich –, um uns eine Brause zu kaufen. Ich war damals ganz wild auf einen ganz bestimmten Vanilledrink und hoffte, dass ich eine Flasche mit dem weißen Zeug finden würde, nicht nur das übliche rote Gesöff. Die Frau, die den Queen Bee Market führte, wusste über ihre Ware Bescheid und sorgte, wenn der Lieferwagen kam, immer dafür, dass sie eine Kiste mit den weißen Flaschen kriegte.
Ich wusste, ich hätte vorsichtig sein sollen – schließlich war es der erste April und so –, aber die Sonne schien und ich war endlich den Verband losgeworden. Zur großen Überraschung meiner Mutter waren meine Finger nicht gelähmt.
Jedenfalls kamen wir zu dem Laden und ich gab Jimbo meinen Zehner.
»Das weiße Zeug, ja?«, fragte Jimbo, als Corry die Tür öffnete.
»Yeah«, sagte ich ohne jeden Argwohn. Aus dem Augenwinkel konnte ich den Zeitschriftenständer sehen. Ich drehte mich ein Stück nach links, um den Zeitungsständer nicht sehen zu müssen. Und da spielten sie mir den Streich.
»April, April!«, sagte Jimbo und stieß mich durch die Tür.
Ich hatte nie zuvor derartige Panik empfunden: Ich bekam keine Luft mehr, das Herz schlug wie wild in meiner Brust, während ich versuchte, hinauszukommen. Aber sie versperrten mir beide den Weg. Jimbo lachte und kicherte und Corry schlug sich die Seiten.
Und da habe ich Jimbo die Nase gebrochen.
Er erinnere mich auch ganz deutlich daran, wie ich weit ausholte und ihm die Faust ins Gesicht schmetterte. Mitten ins Gesicht krachte sie, und ich hörte, wie der kleine Knochen splitterte. Jimbo ging wie ein Sack Zwiebel auf die Knie. Corry hatte aufgehört zu lachen, versperrte mir aber immer noch den Weg zur Tür. Ich sprang ihn mit einem mächtigen Satz an und krallte mit der rechten Hand nach seinen Augen. Ich erinnere mich noch ganz deutlich, dass ich schrie: »Lasst mich raus! Lasst mich raus!« Und dabei schlug ich immer wieder auf ihn ein.
»Hör auf!«, schrie Corry. »Du tust ...«, ich schlug erneut zu, »hör auf, du tust mir weh!«
Wir schlugen jetzt beide wild um uns, als wir rückwärts durch die Tür flogen.
Und als wir draußen waren, hörte ich auf.
Als ich an diesem Abend nach Hause kam, öffnete mir mein Bruder die Tür.
Er warf nur einen Blick auf mich, wie ich so zugerichtet vor ihm stand, und fing dann zu weinen an.
Mein Bruder ist ein ganz anderer Typ. Er war damals erst fünf.
Warum musste er auch sterben?
Im weiteren Verlauf jenes Monats entwickelte ich Angst vor Blut.
Ich erinnere mich, wie meine Mutter in der Küche Gemüse hackte. Ich saß am Tisch und war damit beschäftigt, mein eigenes Comicheft zu zeichnen. Ich hatte da eine Superheldin, die ich »die Schlächterin« nannte. Sie trug ein blaues Trikot und ein violettes Cape, das ein wenig wie das von Batman aussah. Sie war mit der allerlogischsten Waffe für eine Superheldin bewaffnet – einem riesigen Fleischerbeil. Inzwischen beherrschte ich es recht gut, ihre Brüste zu zeichnen.
Plopp … Plopp … Plopp …
Ich hörte das Geräusch des Gemüses, das auf dem Hackbrett landete, Köpfe würden ein solches Geräusch erzeugen, wenn sie von der Guillotine fielen.
Plopp … Plopp … Plopp …
Dann stieß meine Mutter einen Schmerzensschrei aus und rannte aus der Küche. Sie hielt sich die Hand. Das Messer lag auf dem Hackbrett, die Spitze war rot verschmiert.
Ich rannte hinter ihr ins Bad und sah überall auf dem Boden ihr Blut. Wasser rauschte aus dem Wasserhahn, das Geräusch schien immer lauter zu werden, schien zum heiseren Brüllen eines Wasserfalls anzuschwellen. Der Raum begann um mich herum zu schwanken. »Holst du mir ein Pflaster?«, bat mich meine Mutter, während die Wände des Badezimmers um mich herum schwankten und das Rauschen des Wassers anschwoll und wieder leiser wurde. Und dann kamen mir die Bodenfliesen entgegen und krachten gegen mein Gesicht.
Als ich zu mir kam, hielt sie mich in den Armen.
Sie weinte (in jenem Frühling weinten wir offenbar alle ziemlich oft) und hielt mich an sich gedrückt, während sie sich mit der einen
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