Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
noch durch den Wolkenbruch, als mir bewusst wurde, dass ich mich geschnitten hatte. Meine beiden Hände waren zerschnitten und mit Blut verschmiert. Ich hörte plötzlich auf zu laufen und setzte mich neben einer Pfütze, in die die Regentropfen prasselten, auf den Boden. Da saß ich vielleicht eine halbe Stunde und dachte an meinen Vater, der in diesem abgehackten Kopf gefangen war, und sah zu, wie das Wasser mein Spiegelbild verzerrte und mir das Blut von den Händen wusch.
Vier Tage später wusste ich, dass etwas nicht stimmte.
In Vancouver General Hospital hatte ein Arzt meine Hände mit 47 Stichen zusammengeflickt. Meine Mutter war mächtig aufgeregt und mächtig sauer. Sie hatte für die Tür zahlen müssen, das hatte sie 50 Mäuse gekostet, die wir uns nicht leisten konnten; mein Vater hatte wegen seiner Trinkerei seine Versicherungsbeiträge nicht bezahlt. Aber mehr als das hatte sie der Gedanke, dass die Hände ihres Sohnes wegen abgeschnittener Nerven und Sehnen gelähmt waren, einige Nächte Schlaf gekostet, und dabei hätte sie die Ruhe dringend gebraucht. Es lag erst ein paar Wochen zurück, dass man das Wrack des Flugzeugs gefunden hatte, und ich wusste, dass sie sich unwahrscheinlich Mühe gab, Haltung zu bewahren, meinetwegen und wegen meines Bruders.
Von dem Kopf auf dem Magazinumschlag habe ich ihr nie erzählt. Mit meinen acht Jahren war ich jetzt der Mann in dieser Familie. Richtige Männer wie Charles Atlas hatten keine Angst vor Magazinumschlägen.
Sie war die beste Mutter, die man sich wünschen kann. Sie bedrängte mich nicht.
Die einzige Strafe, die ich bekam, war, dass sie mich vier Tage nach dem Unfall in den Drugstore schickte, um frisches Verbandmaterial für meine verletzten Hände zu kaufen. Wie die meisten Mütter hat sie, als ich wegging, ungefähr Folgendes gesagt: »Ich hoffe, du hast aus der Sache gelernt. Du hättest tot sein können.«
Ich machte einen Umweg um den Drugstore mit der Sperrholzplatte in der Tür – ich bin nie mehr in den Laden gegangen – und ging sechs Häuserblocks zum Victoria Drive hinunter, bis ich zu einer Rexall-Apotheke kam. Durch die Glastür konnte ich Regale mit Medizin, Verbandspflaster, Schokostangen, Spielzeug und dergleichen sehen und dass der glatzköpfige Apotheker gerade einem jungen Mann ein Päckchen gab, das dem anscheinend peinlich war. Ein etwa gleichaltriges Mädchen im Teenageralter wartete draußen vor dem Laden.
Dass etwas nicht stimmte, wurde mir in dem Augenblick klar, als ich es nicht fertigbrachte, durch die Tür in den Laden zu gehen.
Das war Realität gewordene Science-Fiction: Irgendeine Art von Kraftfeld hielt mich auf.
Ich streckte beide Arme aus und versuchte mit Willenskraft meine Hände dazu zu bringen, auf die quer über die Tür verlaufende Metallstange zu drücken. Aber meine Arme weigerten sich, sich zu bewegen. Das war unheimlich und ich verspürte Angst.
Das Mädchen bemerkte, dass ich Schwierigkeiten hatte, und kam im Bummelschritt auf mich zu. Dabei spähte sie verlegen in den Laden. »Das muss wehtun, äh?«, sagte sie mit einem Blick auf meine bandagierten Hände und stieß die Tür auf, um mir zu helfen.
»Ja, das tut es«, sagte ich und versuchte einen Schritt nach vorne zu tun. Aber jetzt weigerte sich mein Fuß, sich zu bewegen. Es war gerade, als wäre meine Schuhsohle am Beton festgeklebt. Ich versuchte ein zweites Mal, mich zu bewegen, und jetzt setzte die Angst wirklich ein.
Etwas mit mir stimmt nicht, dachte ich. Ich kann nicht in den Laden gehen! In dem Augenblick stürmte der Junge durch die Tür, stieß mich beiseite. »Ich hab sie«, sagte er aufgeregt. »Das sind welche mit Gleitmittel.«
»Mann, Tim«, sagte das Mädchen und ihr Gesicht wurde rosarot, »du hast den kleinen Jungen gestoßen.«
»Oh, yeah. Tut mir leid, Kleiner.« Er warf mir einen geringschätzigen Blick zu. Dann bemerkte er meine Hände und sagte: »Brauchst du Hilfe?«
»Würdest du für mich ein paar Rollen Verbandsstoff kaufen?«, fragte ich. »Während ich hier draußen warte?«
Er musterte mich mit einem seltsamen Blick, tat aber, worum ich ihn gebeten hatte. Als er ein paar Minuten später mit seinem Mädchen wegging, hörte ich ihn sagen: »Weißt du, an dem Kleinen ist irgendwas seltsam.«
Und er hatte recht.
Ich wusste es auch.
Es dauerte nicht lange, bis meine Freunde das Geheimnis erfuhren. Wenn einer von ihnen nicht imstande ist, in einen Laden zu gehen und dort Double-Bubble-Kaugummi zu kaufen und
Weitere Kostenlose Bücher