Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
liegen. Er eilt zu ihr; breitet die Arme aus; drückt sie an seine Brust. Dann schreit er gequält auf, als er sieht, wo das Schluchzen herkommt. Denn die Schnittfläche dort, wo einmal ihr Kopf war, ist flach und silbern glatt. Das Schluchzen kommt aus einem offenen Rohr, das aus ihrem Hals ragt.
Schreiend sucht er das Zimmer ab.
Aber er findet ihren Kopf nicht.
»Robert«, fragte Genevieve, »was bedeutet dir der Traum?«
Er überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Dass ich diese Köpfe nie finden werde.«
»Du täuschst dich. Er bedeutet, dass du Angst hast, diese Köpfe nie zu finden, nicht, dass du sie nie finden wirst. Du erkennst doch den Unterschied, oder nicht?«
DeClercq zwang sich zu einem Lächeln. »Genny, Jack The Ripper haben sie nie erwischt. Und Zodiac in San Francisco auch nicht. Auch nicht den Axtmann in New Orleans. Den nackten Themse-Killer hat man auch nie gefunden. Und auch nicht den Mörder der Schwarzen Dahlie. Und …«
»Na und«, sagte Genevieve, spie die beiden kurzen Worte fast aus. »Keiner dieser Killer hat sich je mit der RCMP angelegt.«
Die Wucht ihres Ausrufs ließ ihn mitten im Satz stocken.
»Steele. Walsh. McIllree. Blake. Kapier das endlich. Ich habe dein Buch gelesen. Ich kenne deine Vergangenheit, und die meisten anderen kennen sie auch. Männer, die die Uniform trugen: Es wird Zeit, an die Legende zu glauben. Trotz all deiner Zweifel an den modernen Zeiten, produzieren die immer noch einiges an Weisheit.« Dann wurde ihre Stimme weich. »Glaubst du nicht, dass es allmählich Zeit wird, etwas von Obi Wan Kenobi zu lernen?«
»Und das wäre?«, fragte DeClercq, und seine Miene verfinsterte sich, weil er nur selten ins Kino ging.
»Möge die Macht mit dir sein«, sagte sie – und jetzt lachte DeClercq tatsächlich.
Denn selbst er verstand.
Das ist der Flurfunk der Kultur.
Sie wartete, bis er eingeschlafen war, wusste, dass es ihr gelungen war, seinen Schmerz zu lindern und ihn für eine Weile seine Arbeit vergessen zu lassen. Dann kuschelte sie sich an ihn, an die Wärme, die von seinem Körper ausging, und ließ zu, dass auch sie Leere umgab. Sie schlief lächelnd ein.
Um drei Uhr morgens erwachte Robert DeClercq schweißgebadet. Denn da war wieder der Traum gewesen.
Er lag ein paar Minuten auf dem Rücken und lauschte dem gleichmäßigen Atem seiner Frau. Dann glitt er aus dem Bett, schlich sich aus dem Zimmer, zog sich an und ging hinunter ans Meer.
Am nächsten Morgen fand Genevieve DeClercq ihren Mann mit einem Revolver in der Hand im Gewächshaus. Die Waffe war beinahe hundert Jahre alt, ein sechsschüssiger Enfield Kaliber 476.
Von dem Albtraum erzählte der Superintendent seiner Frau nichts.
Voodoo
21:15 Uhr
Als Katherine Spann am Abend nach Hause kam, fand sie eine Kakerlake in ihrer Küche.
Genauer gesagt drei Kakerlaken.
Nachdem sie und Scarlett am späten Nachmittag die Universitätsbibliothek verlassen hatten, waren sie noch einmal in die Innenstadt gefahren, um sich dort nach dem Indianer und nach John Lincoln Hardy umzusehen. Als sie um 21:00 Uhr immer noch keinen von beiden gefunden hatten, hatten sie beschlossen, Feierabend zu machen. Mit Scarlett am Steuer des zivilen Ford waren die beiden Constables im Schein des von den Wolken halb verdeckten Mondes, der den Asphalt schimmern ließ, über die Fir Street gefahren, hatten die 16th überquert und waren in die Shaughnessy gefahren und dort langsam zwischen den Schatten der Bäume dahingerollt. Vom Meer kam Wind auf, deshalb waren die Lichtgeister in Bewegung. Scarlett lenkte den Wagen an den Bordstein und Katherine Spann stieg aus.
»Angenehme Lektüre«, sagte er, als sie die Tür schloss. Dann fuhr er weg.
Einen Augenblick lang stand Spann auf dem Gehweg und lauschte dem Stöhnen des Herbstwinds in den Alleebäumen, dann zog sie das Schlüsselbund aus der Tasche, sperrte das Tor am Dienstboteneingang auf und trat in den Hof der Villa. Der süßliche Geruch von verrottendem Herbstlaub lag in der Luft, und als sie auf das Hausmeisterhaus zuging, knirschten die Blätter unter ihren Füßen wie Bonbonpapier. Indem sie das Tor auf seinen quietschenden Angeln hinter sich zuzog, hatte sie die Stadt draußen ausgesperrt.
Das Hausmeisterhaus stand im Schatten dieser Seite des Sussex Manor. Als sie darauf zuging, die Hände tief in den Taschen vergraben, die beiden Bücher über Voodoo aus der Bibliothek fest unter den Arm geklemmt, konnte Spann den eisigen Novemberwind unter der
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