Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
schlechten Ortenhin und her wechseln, damit man es überhaupt ertragen konnte. Kaum waren sie im Freien, fing Paul an: »Hört mal, Vater! Laßt mich da mit dabei. Das sind doch lauter ordentliche Jungens. Ihr habt selbst gesagt, der Kunkel, das ist ein Tüchtiger. Laßt mich dazu.«
»Nee, gefällt mir nich.«
»Was denn nich? Dieser Kunkel, der is doch wirklich recht, das is doch auch wirklich recht, was der Fahrer gesagt hat. Laßt mich doch.«
»Nee, gefällt mir nich.«
»So hört doch mal, Vater.«
»Gib jetz Ruh. Jetz is Nacht.«
Algeier packte ihn unversehens an der Schulter, hart, wütend. Paul sagte nichts mehr, schlupfte an ihm vorbei durch die Tür in die hintere Kammer. Algeier trat ein, ging aber nicht weiter, sondern blieb vor dem Sofa stehen. Er sah auf Marie hinunter. Ihr tiefer, sorgloser Schlaf kränkte ihn, ihn kränkte ihr junger, regelmäßiger Atem.
Am liebsten hätte er sie geweckt und in die Stadt zurückgejagt, zu der Vermietfrau, zu der er sie selbst vor fünf Jahren gebracht hatte, als er sie hieß, ihr Bündel zu packen und ihren Zopf aufzustecken, daß sie Lohn heimschickte und von Fremden ernährt wurde. Zwischen der kurzen Nachtjacke und der Decke sah er einen Streifen helles, weißes Fleisch. Da juckte ihn das Gerede der Bauern, er glaubte auf einmal, daß sie recht hatten, daß die Tochter ihn verkohlte. Schon erhob er die Hand, um mit der Schmalseite auf diesen dünnen, hellen Streifen einzuhauen. Der starke, hungrige Körper war ihm zuwider, den er durchfüttern sollte. Dann aber, zu seiner eigenen Überraschung, mit einem Schlage, wie etwas, das von außen über den Menschen kommt, ergriff ihn Gerechtigkeit. Die war schwer zu ertragen. Selbstverständlich hatte ihr Dienstherr gekündigt, denn er konnte selbst nicht mehr zahlen. Sie hatte damals sofort den Brief gezeigt, der in den Ferien nach Hause kam. Er hatte damals nichtviel dazu gesagt, er hatte nicht alles sofort übersehen. Er hatte allerlei angeschafft und ausgebessert gehabt, auf Raten so hoch wie ihr Lohnteil. Er hatte die neue Zentrifuge gekauft. Vor fünf Wochen hatten sie den ersten Mahnbrief geschickt für die fällige Rate, er hatte die fünfundzwanzig Mark zusammengekratzt, da hatten sie ihm zwei Wochen Frist gegeben. Dann war die nächste Rate schon wieder fällig. Die vorige Woche hatten sie geschrieben, sie würden abholen, wenn er nicht bis Samstag nachzahlte.
Er hatte nicht nachgezahlt. Er glaubte nicht an das Abholen. Er glaubte nur an Unglück, das er sich vorstellen konnte.
VII
Gegen Ende der Nacht wachte Johann auf und lief ganz benommen in den Garten. Wahrscheinlich hatten ihn die kräftig einsetzenden Hähne geweckt, ihre wenigen grellen, unbarmherzigen Schreie verkündeten deutlicher als der Morgenlärm der Stadt die Unentrinnbarkeit des neuen Tages. Sie waren wohl ihrerseits etwas frühzeitig aufgescheucht durch das Lastauto, das von Botzenbach herfuhr. Der Brauereifahrer nämlich und einige Kameraden hatten die Nacht in Botzenbach verbracht. In der dunstigen Gasse flimmerten auf den Metallteilen, auf den Mützenknöpfen die ersten Funken der hinter den Feldern aufgehenden Sonne. Johann beugte sich über den Zaun. Das Auto hielt auf dem Platz, setzte jemand ab und fuhr weiter.
Schläfrig, ohne daß er ganz deutlich sehen konnte, ohne recht nachzudenken, fing Johanns Herz zu klopfen an, wie ein Wachhund losbellt.
Über der Tonne neben der Pumpe hing eine Mähne gelben, feuchten Bastes. Ein paar fertige Bastzöpfe hingen dabei, ein angeflochtener. Johann blieb stehen und flochtihn zu Ende: Was hätten die noch für mich zu tun? Was kann ich hier noch ausrichten, daß sie mich bei sich halten? Ich bin ausgeruht, ich habe gegessen, ich könnte auch weitermachen. Länger hierbleiben, das wäre besser, sicherer. Hier kennt mich niemand, kein Mensch sucht mich, alles wird sich verlaufen.
Er hing den Bast an der Pumpe auf und hob das Brett ab, das nachts darübergelegt war. Bastian war inzwischen herausgekommen und beobachtete Johann, zuerst insgeheim, dann, als er sich umdrehte, offen. Bastian zögerte zum letztenmal, dann sagte er: »Ich will dir was sagen. Ich hab mir etwas überlegt. Und zwar – hör mal: Ende der Woche, spätestens Anfang nächster Woche wird mit dem Roggen angefangen. Voriges Jahr hab ich schon nicht gewußt, wie das alles rund kriegen. Ich weiß nicht, wie das diesmal werden soll. Du siehst ja selbst – ich, die Margret, von den Kindern höchstens die Dora, und was schon
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