Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
geblieben. Seine Mutter flennt den ganzen Sonntag.«
Konrad Bastian fragte: »Ist das dem Berthold Lamprecht sein Ältester? Der mit der Warze?«
»Jawohl, eben der, der hat nicht geruht, der is in die SA gegangen in Billingen.«
»Der Vater hätt die Hand schwerer auf den Jungen legen sollen. Ich hätt’s ihm verwehrt.« – »Verwehren. Verwehr mal dem Stier die Hörner!«
Algeier hatte sich mit Paul an den Ecktisch gesetzt. Paul heftete schnell seine runden Augen auf die Redenden. Er war puterrot geworden. Er hatte längst an seinemVater gebohrt: Laß mich mit den Kunkels! Der Algeier hatte immer gesagt: Nee, gefällt mir nich.
»No, Algeier. Ihr habt Euern Jungen noch gut in der Zucht!« Paul duckte sich hinter den Tisch. Er kriegte ganz weiche Gelenke vor Scham. Algeier sagte nichts. Er hatte den Hut aufbehalten, weil sein Kopf kahl war. Merz sagte ins Zimmer hinein, ohne jemand anzusehn: »Wo is es denn passiert?« Ihm antworteten alle schnell durcheinander: »Es is in der oberen Eichelgasse passiert. Einer von denen wird’s gewesen sein. Vielleicht wird’s der Rendel gewesen sein. Wer kreischt, der petzt, wer petzt, der sticht.«
»Ihm zuzutraun!«
Der Wirt entdeckte unter den zehn Bauern am runden Tisch einen, der noch gar nichts bestellt hatte. Er drückte sich heran. Der kleine plattköpfige Neugebauer krümmte sich zusammen und platzte dann heraus: »Kirschwasser!« Er hatte mächtige Gier danach, schämte sich aber, etwas Besonderes zu bestellen. Alle fingen auch gleich zu lachen an. Der Wirt brachte ein Gläschen Kirschschnaps, auf dem eine eingemachte Kirsche schwamm. Neugebauer schnappte die Kirsche hastig mit Daumen und Zeigefinger und zerdrückte sie so lange als möglich im Mund. Er krümmte sich noch mehr zusammen, denn er spürte um sich herum einen stechenden Mückenschwarm von Blicken, Lachen und Anfragen.
»He, Neugebauer, ist dir nicht heiß genug?«
»Hat se dir nich eingeheizt, deine Neue? Brauchst noch von oben was?«
Neugebauer hatte nämlich zum zweitenmal geheiratet, eine Witwe. Alle sahen ihn an und weideten sich. »Na, wie ist’s? Habt ihr noch nichts verlernt, ihr beide?« Neugebauers zweite Frau hatte einen schlechten Ruf. Ihr waren kurz nacheinander der Mann, die Schwester und zwei Kühe gestorben. Niemand konnte leiden, wenn sie den eigenen Kindern oder dem Vieh nahe kam. Die letzte Zeit war das Gerede geringer geworden durch eine Fülle allgemeiner,verwickelter Unglücksfälle. Durch die Heirat kam es neu auf. Neugebauer graute es selbst vor der unsauberen, dalbrigen Witwe. Aber er hatte sie genommen, um endlich seine Schulden aus der Mitgift abzuzahlen. Er war froh, als die surrende Wolke von ihm wegging und den Bauer Großmann umschloß, der neben ihm saß.
»He, Großmann, wie geht’s deinem Sohn?« Großmann knurrte: »Wie soll’s gehen? Fragt ’n doch selbst.« Alle stießen sich an und betrachteten Großmann, der vor Wut zitterte. Sein Sohn hatte einem Mädchen aus Botzenbach ein Kind gemacht. Als der Großmann die Summe erfuhr, die der Vater des minderjährigen Mädchens einklagte, gab er dem Sohn einen Tritt, durch den er zum Krüppel wurde. Alle Bauern am runden Tisch tranken gleichzeitig einen Schluck und betrachteten ihn lächelnd. Dann wurden sie still. Es fiel ihnen nämlich ein, daß dem alten Merz hinten auf dem Sofa etwas Ähnliches geschehen war. Wahrscheinlich hatte der alte Merz scharf zugehört. Er starrte gradeaus. Sein Sohn hatte voriges Jahr von einer Magd ein Kind bekommen. Er hatte seinen Sohn geprügelt und die Magd heimgejagt. Vor dem Gericht aber hatte dieser sein Sohn später erklärt, daß er zwar einigemal bei dem Mädchen gewesen war, aber niemals in dem in Betracht kommenden Monat. Als nun der Richter, die Pfarrer der beiden Ortschaften und die Verwandtschaft des Mädchens merkten, daß dieser Bauernsohn hart und fest war und unter allen Umständen bereit, selbst durch Meineid, die Zahlung zu umgehen, da hatten sie das Verfahren niedergeschlagen. Wohl merkte der alte Merz, wie sich der Mückenschwarm ihm näherte. Er wehrte ihn ab mit einer lässigen Handbewegung. Er drehte sein Gesicht ganz zu Konrad Bastian.
»Ihr habt wohl Verwandtenbesuch, sagt meine Frau?« Bastian erwiderte: »Nicht, daß ich wüßte.«
Merz sagte: »Da ist doch einer eingekehrt, bei deinem Bruder. Meine Frau hat ’n gesehen, wie er’s Holz gehackt hat.«
Großmann sagte lächelnd: »’n Knecht wird er doch wohl plötzlich nicht eingestellt haben, der
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