Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
Andreas Bastian.«
Bastian zuckte die Achseln. Er ärgerte sich, daß er nichts davon wußte. Er wandte sich schnell an Algeier: »Eure Marie, die is ja immer noch da? Die is ja wohl gekündigt?«
Alle sahen Algeier an. Paul sah seinen Vater ängstlich an. Der legte den Kopf zurück, daß sein Bart über dem Tisch abstand, sein tabakbeschmierter, fahriger Bart, der immer aussah, als ob der Wind durchblies. Er erwiderte ruhig: »Ja, sie is gekündigt.«
Neugebauer fragte: »Warum denn?« Algeier erwiderte: »Ihr Dienstherr is gekündigt.« Da sagte Großmann: »An deiner Stell würd ich beim Dienstherrn anfragen. So ’n Mädel kohlt dem eignen Vater was vor.«
Zwanzig, dreißig Blicke kribbelten lachend an Algeiers Bart. Der sagte: »Nee, meine nich. Die kohlt nich.«
Großmann sagte schnell: »Wie willste das wissen, daß se nich kohlt?«
V
Jetzt hörten sie draußen das Auto, Stimmen, Getrampel. Der Fahrer trat ein in seiner Lederjacke, die Kunkels, sechs, acht andere aus fremden Dörfern. Einige Bauern betrachteten sie geringschätzig, viele mißtrauisch, manche belustigt, andere nachdenklich. Christian sah mit seinen eng zusammenliegenden Augen schnell rundum. Unter seinem scharfen Blick wurde jedes Gesicht sofort leer, arglos. Er sagte: »Macht mal ’n bißchen Platz, Wirt!« Der Wirt rückte die Auswärtigen an einem Tisch zusammen und brachte Stühle bei. Das dauerte eine Minute. Während dieser Minute veränderten sich alle Mienen. Die Jungen waren einander ähnlich an Kleidung, Haltung und Auftreten. Algeier behielt den Kopf zurück. Er betrachtete unverwandt die Angekommenen mit zugekniffenenAugen, Paul mit runden, glänzenden. Der Wirt fragte: »Bier? Apfelwein? Kirschschnaps?« Der Fahrer sagte: »Na, heut spendierst du ja mal was. Das is klar.« Der Wirt erschrak, lächelte. »Tu ich, tu ich. Prost, Hähnlein, Prost, Kunkel, Prost, Prost!«
Der Fahrer lachte. »Schenk nur mal voll bis oben hin! Biste denn ’n Jud?« – »Habt ihr schon gehört von dem Lamprecht?« wich der Wirt aus. »Daß es ihm in die Herzgegend gefahren is. Vielleicht stirbt er.« Der Fahrer rief: »So was! Das haben wir noch nicht gehört.« Kunkel sagte: »Wir haben ihn im Spital abgegeben. Das hat kein Mensch geahnt.« Neugebauer fragte: »Wo is es denn passiert?« Kunkel erwiderte: »In der oberen Eichelgasse.« Neugebauer rief: »Seht ihr, seht ihr! Ich hab’s gewußt. Knöpft euch mal den Rendel vor!« Kunkel rief: »Wird besorgt.« Er war ganz überrascht über seine eigene Stimme, wie ausgetauscht seit gestern abend. Bastian sagte: »Du, Kunkel, hast wahrhaftig auch ’ne Rede gehalten!«
»Na – nich grad ’ne Rede.«
Neugebauer fuhr fort: »Man sollte doch mal diesem Rendel den Kopf zwischen die Beine stecken und dann drauf! drauf! Und kennt ihr seine Frau?« Die Bauern lachten. »’n Hintern wie ’n Roß! So ’n Weibsstück, da sind zwei beisammen.«
Konrad Bastian sagte: »Sie hat auch immer das große Wort bei Gold & Sohn. Na, wenigstens schafft sie. Der Mann steht in der Gasse rum.«
(Jedes Jahr sagte der Aufkäufer der Konservenfabrik Gold & Sohn, Billingen: »Keinen Pfennig drüber. Rechnet selbst mal aus. Hier ihr, dort die Löhne. Wißt ihr, was die kriegen für die Stunde? Wißt ihr denn, was das kostet, allein die Kerne raus?«)
Neugebauer fing wieder an: »Das is so eine. Die macht Stunk, wo sie hinkommt. Die macht ’ne Hetz bei all den Weibern. Die macht keiner Kirsche ’n Kern raus, ohne ’ne Hetz zu machen.«
Großmann rief: »Was der Mann nicht verdient durch Rumdrücken, das will die doppelt reinkriegen.«
Neugebauer sagte: »Die sitzt wahrhaftig mit auf dem Auto und schreit sich ›Rot Front!‹ ab, und ihre Brust wackelt.«
Der Fahrer sagte: »Hat bald ausgewackelt.«
Jetzt kamen noch zwei Gäste, Jakob Schüchlin und sein Schwiegervater Schulz. Schüchlin war ein dicker, kurzer, verschwitzter Mann. Seine etwas gestülpte Nase öffnete die großen Nasenlöcher nach vorn. Der alte Schulz war ein zittriges, taubes Männchen, kahl bis auf ein paar Fransen am Kinn. Sein Besitz stand zwischen dem des Konrad Bastian und dem des Merz. Er setzte sich sofort vor den Tisch am Plüschsofa. Schüchlin setzte sich neben ihn, aber nicht genau an den Tisch, sondern gegen das Zimmer. Der alte Schulz hatte ihm, einem geringen Mann, seine älteste Tochter gegeben; denn diese war etwas schwachsinnig und hatte ein Kind gehabt von einem Kriegsgefangenen. Er hatte sie vom Hof weggegeben gegen einen
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