Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
schon dran glauben müssen. Aber er sagte: »Da ist die Ernte drin.« Der Inhaber sagte: »Sie haben ’ne Ahnung. Da merkt er erst, was nich drin is.« Johann zuckte die Achseln. Er stand auf einem Fuß. Er quetschte die Quittung aus dem Mann heraus. Er rannte los, um die Kirche herum, eine Gasse hinauf, eine hinunter. Zwei Hakenkreuzfahnen hingen vor einem Haus, in dem die Zeitungsauslage war. Vor dem aufgeschlagenen Doppelbogen des »Angriff« drückten sich Menschen, ihre Gesichter waren starr, gequält.
Johann stellte sich dazu, las drei Sätze, ging wieder, in tiefem, quälendem Nachdenken. Über die ganze kleine Stadt weg pfiff die Sirene von Gold & Sohn – sie machten im Obstmonat Überstunden, so daß Johann zusammenfuhr. Schon spürte man in den Gassen den Menschenzuschuß aus der Fabrik, Frauen hauptsächlich, die schnell vor Ladenschluß in die Geschäfte liefen. Johann dachte, in einer so kleinen Stadt, wo eine Schicht Frauen die Gassen eng machte, müßte auch rasch zu finden sein, was er brauchte. Er wagte niemand zu fragen. Vielleicht hätte er nur die Frau anzureden brauchen, die eben, zwei Brote im Arm, aus der Bäckerei kam, eine vor Müdigkeit gelbe, kurzhaarige, dunkle Frau. Vielleicht hätte sie ihn einfach zu ihrem Mann nach Haus geschleppt, vielleicht hätte sie ihn auch zum Teufel geschickt. Er konnte nicht sehen, was für ein Abzeichen sie in ihrer umgeknöpften grünen Jacke trug. Johann blieb schließlich vor einem kleinen Laden stehen; eigentlich war es kein Laden, sondern das Fenster eines ehemaligen Wohnraumes, in dem allerlei Wandervogelkrimskrams lag, blaue Hemden und Ledergürtel, aber auch Fichte- und Antifa-Abzeichen. Auf derRückwand war die AIZ mit Reißnägeln angeschlagen. Johann wagte nicht hineinzugehen. Er wartete, bis jemand herauskam. Heraus kamen zwei Männer, beide nicht sehr jung, beide klein. Der eine trug das Antifa-Abzeichen an der Monteurjacke, der andere trug nichts, legte aber seinem Begleiter die Hand auf die Schulter. Johann lief hinter ihnen her. Sie gingen in einen Hof, in eine Fahrradreparaturwerkstatt. Johann trat hinter ihnen ein. Fast gleichzeitig kam aus dem Küchenzimmer hinter der Werkstatt dieselbe kurzhaarige, vor Müdigkeit gelbe, mürrisch blickende Frau in grüner Jacke, zwei Brote im Arm. Sie fragte ihn zuerst, was er wollte. Johann erwiderte, er sei ein Genosse aus Leipzig. Die Frau fragte, ob er mitäße. Der Monteur, er hieß Wolf, sagte: »Freilich ißt er.« Der andere wollte zu seiner eigenen Frau, setzte sich dann auch dazu. Sie schlossen die Werkstatt ab und setzten sich an den kleinen Ladentisch. Es gab Tee, frisches Brot, Margarine, Landleberwurst. Johann wollte sich vorsichtig durchfragen; der Monteur fragte ihn nach Leipzig aus, wo er sich von früher auskannte. Er fragte ihn, ob er in der Partei sei. Johann erwiderte, nein, aber er wollte gern mit jemand von der Partei sprechen, jetzt. Der Monteur schlug dem andern auf die Schulter und sagte: »Da hast du sie.« Es stellte sich jetzt heraus, daß das der Rendel war, von dem Johann schon im Dorf gehört hatte.
Er fragte Johann, was ihn herführte. Johann fing stockend zu erzählen an. Obwohl er dabei in seinen Teller sah, spürte er, wie sich die Gesichter veränderten, die Blicke härter wurden. Schließlich sagte Rendel: »Du wirst dich in acht nehmen müssen, auch wenn du zu uns gehst. Du kannst gleichwohl für uns manches tun.«
Johann sagte: »Es ist doch alles sehr schwer für mich. Geh ich bloß die Gasse hinauf, dann klappen schon alle Fenster auf. Sie glotzen mir aufs Maul, was für ein Wort rausspringt – ich bin wie eingespannt.«
»Man muß doch mit den Menschen auf jede Art redenkönnen, gut, daß du das lernst, beklag dich also nicht. Um die Menschen dahin zu bringen, wo sie hingebracht werden müssen, mußt du so oder so mit ihnen reden können, versteckt und offen, und du mußt manchmal auf sie schlagen können und manchmal sachte mit ihnen reden können wie mit kranken Kindern. Ja, Johann. Ich muß jetzt weg«, sagte Rendel, »ich muß meine Frau bei den Kindern ablösen. Sie ist bei Gold & Sohn im Betriebsrat.«
Als Rendel gegangen war, sagte die Frau mürrisch: »Mit unserer ganzen Arbeit sind wir eigentlich nicht über Niederweilerbach herausgekommen.« Wolf sagte: »Wir fahren jeden Sonntag aufs Land. Wir haben aber selten ein Auto, wir bringen hart unser Geld zusammen. Die Nazis haben hier drei Autos, eins von der Brauerei, eins von der Schuhwichsfabrik,
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