Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
der aufsteigende Tag, als wollte er die Menschen sachte an seine Schwere gewöhnen. Bastian sagte: »Margret, wir gehen jetzt ran an den Klee.« Er sagte zu Johann: »Dann kommste en Ende mit, da geht’s bei unserm Kleefeld links ab nach Botzenbach.« Johann erwiderte nichts, er suchte in seinem Kopf. Er drückte die Augen zu. »Vollgefressen weggehen? Da habt ihr doch draußen euer Holz.« Bastian sah zögernd seine Frau an. Die Frau nickte. Bastian sagte: »Könnt ihr das in der Stadt?« Johanns Gesicht veränderte sich, klappte auf. »Warum nicht?«
Sie gingen hinaus. Bastian holte den Block aus dem Schuppen und seine Axt. Er machte ein paar Hiebe vor. Johann sagte: »Laßt, laßt.« Er griff selbst die Axt. Bastian sah eine Minute lang mit zu. Zuerst sah es ungeschickt aus, dann schwerfällig, dann vernünftig.
Sie ließen ihn allein und zogen ab. Bastian hatte das jüngste Kind auf der Schulter, einen Tragkorb auf dem Rücken. Die Frau hatte gleichfalls einen Tragkorb und das zweitjüngste an der Hand. Eine kleine, ganz blanke Sichel am Gurt des Mannes zog hinter ihnen in der Morgenfrühe einen dünnen Lichtschweif. Sie kamen an die Stelle, wo die Landstraße nach Botzenbach abbog. Einige Augenblicke lang sah man von hier aus unter den Hügeln eine Krümmung des Flusses, ein bläuliches, blinkendes Hufeisen. Wie jeden Morgen schwenkte die Frau das Kind in die Luft, wie jeden Morgen schrie das Kind beim Anblick des Flusses einen schrillen, glücklichen Vogelschrei.
Sie brauchten eine halbe Stunde bis zum Acker. Bastian spürte auf seiner linken Schulter das Gewicht des Kindes. Er sagte: »He, Margret, es geht dir nicht mehr an die Brust,sagst du, wie?« Die Frau erwiderte: »Nein.« Sie hatte versucht, dieses Kind so lange wie möglich zu stillen, um vor Schwangerschaft bewahrt zu bleiben. Mit gesenkten Köpfen, ohne ein Wort daran zu geben, dachten beide nach. Jahr für Jahr, Tag für Tag schloß sich eine Tür nach der andern, ein Spalt nach dem anderen, bis zur völligen freudlosen Dunkelheit.
Sie erreichten den Acker und setzten die Kinder in die Furche.
Daheim im Garten zogen die beiden großen Kinder einen Stecken durch den Tragring des Milcheimers. Sie hoben ihn mit gerunzelter Stirn und zogen ab, mit winzigen, durch den leise schwenkenden Eimer gebändigten Schritten. Fast im selben Augenblick bimmelte vom Ende des Dorfes das dünne Glöckchen der Milchsammelstelle.
Johann sah ihnen nach, auf Doras hohe, schwarzstrümpfige, nicht unschöne Beine. Dann war er allein. Das Dorf hinter dem Zaun war ihm unbekannt. Eine Welle aus Angst und Langweile schlug über Johann zusammen. Er schüttelte sich und drehte sich um. Er nahm die Axt. Er stolperte über das mittlere Kind, das allein zurückgeblieben war; das bröselte auf der Erde vor sich hin, fahl und schwach. Johann fluchte, packte das Kind hart an und setzte es in die Haustür.
Er legte einen Holzklotz nach dem andern auf und hackte. Nach sechs, sieben Hieben war ihm der Schwung geläufig. Sein Unbehagen verwandelte sich in Zorn, sein Zorn in Wut. Es war ihm rot vor den Augen. Die Umrisse der Klötze zitterten. Doch seine Arme waren schon auf den richtigen Punkt eingeschwungen. Mit starken Hieben zerschlug er den zwecklosen Morgen, das nutzlose Leben, in das man ihn hineingelockt hatte. Er schlug besinnungslos ein auf alle, von denen er annahm, daß sie am Verlauf seines Lebens schuld hatten. Schonungslos, ohne eine Spur von Reue schlug er den nieder, der ihm denWeg absperrte. Er schnaufte. Die Kinder starrten ihn an; sie waren zurückgekommen, um den zweiten Milcheimer zu holen. Diesmal zogen sie noch vorsichtiger ab, in den äußeren Armen ihr Schulzeug. Johann holte aus. Seine Wut fiel und stieg. Zu Spänen zerschlug er seine jungen, fruchtlosen Jahre, Hoffnungen, die man ihm aus Versehen gemacht hatte, Versprechungen, die kein Mensch ernst genommen hatte. Das mittlere Kind war längst von der Schwelle in den Garten zurückgekrochen, bohrte in der nassen Erde vor der Pumpe und kümmerte sich nicht um ihn. Manchmal trat von der Gasse her eine Frau an den Zaun, ging zurück und holte eine andere. Eine kleine Gruppe von Frauen und Mädchen mit leeren Milcheimern stand eine Minute lang hinter dem Zaun, sah mit zu, flüsterte, löste sich auf. Es war Mittag geworden, dunstig verhängte Sonne. Die Kinder kamen aus der Schule. Ein Regenfall war möglich, die Bastians mußten den Klee einbringen. Dora machte das Essen fürs Feld fertig. Sie mußte die
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