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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nich klagen.« Das Ansehen der Leute war doch Mörtel, der einem den Bau zusammenhielt. Er rackerte sich ab. Er zwang seine drei Helfer, Mutter, Schwester und Bruder, sich abzurackern. Es kam ihm zustatten, daß es auf seinem Boden nur solche gab, die für ihn arbeiteten, keine, für die er arbeitete. Er dachte wohlweislich nicht ans Freien. Da war kein Blutstropfen in Christian, der sich nicht den Umständen gefügt hätte.
    Er hatte eigene Gedanken. Er probierte mal Tomaten auf einem Acker, er baute sich ein Treibhaus, das erste am Ort. Er zog Blumenkohl und Salate in ungewohnten Monaten. Er dachte nach, wie er das Zeug ohne Bahn nach Billingen kriegte. Aus Billingen kamen: der Milchverband, der Jude, das Brauereiauto. Er setzte auf das letzte und machte sich an den Fahrer. Der fuhr doch immer leer zurück, der sollte seine Ablieferung vor den Markttag setzen. Mit so viel Beharrlichkeit wäre Kunkel in guten Zeiten vorangekommen. Jetzt gelang es ihm, sich imGleichgewicht zu halten. In seine Hände kamen Zeitungen und Flugblätter. An seinen Augen wurden Fahnen vorbeigetragen. In seine Ohren wurde »Verrecke!« und »Heil!« und »Rot Front!« und »Nieder!« gerufen. Dazu sagte er überhaupt nichts. Doch dachte er, wenn er Zeit hatte, gründlich nach, was ihm nützlich sei. Eines Abends kam Kunkel aus Billingen mit zwei Hakenkreuzfähnchen zurück. Er setzte eins auf die Haustür, eins auf die Treibhaustür. Genau wie jedesmal war Kunkel in der Stadt mit allerlei Leuten zusammengekommen. Er war auf dem Amt gewesen wegen der Gebühren für den Marktstand. Er hatte den Arzt bezahlt, der seiner Schwester das Geschwür aufgestochen hatte. Er war auf den Milchverband gegangen wegen der neuen Preisliste. Überall war Kunkel wie immer ins Gespräch gekommen. Seine Gedanken erreichten diesmal einen Abschluß: Ja, dies war ihm vielleicht nützlich.
    Denn Kunkel war vor allem ein Mensch, der fragte, was ihm nützlich sei. Bei der Zucht von Tomaten, Blumenkohl, Radieschen, Salat fragte er sich nach dem Nutzen. Wenn ihm Leute Fahnen, Hemden, Armbinden und Aufnahmescheine anboten, fragte er sich, ob ihm diese Leute und Dinge nützlich seien. In der Nacht auf Montag, weniger müde als in Werktagsnächten, gequält und unruhig durch das nachklingende harte Lachen sonntäglicher Mädchen, gelang es ihm schnell, über dieser Unruhe einzuschlafen; denn sie war ihm unnütz. Die Predigten seines Pfarrers verfolgte er aufmerksam, denn bei einem Mann, der viel und gründlich gelesen hatte, mußte schon etwas abfallen für einen jüngeren, was ihm nützlich war. Legte Kunkel den Kopf in den Nacken nach dem jubelnden Pünktchen von Lerche im unermeßlichen Himmel – Munterkeit durchzuckte ihn und zuckte aus seinen Händen in die Arbeit –, dann dachte Kunkel an diese Lerche genau über seinem eignen Feld als an etwas, das ihm nützlich war.
II
    Das Auto fuhr eine Strecke oberhalb des Flusses, vorbei an Fußgängern und Radfahrern, die der dicken Staubwolke nachfluchten oder lächelten. Alle drehten die Köpfe nach dem Fluß. Über dem Wasser mit den paar Ruderbooten, über dem flachen, teils bebauten, teils bewaldeten Hügel lag der glatte, saubere, etwas langweilige Glanz, den die gewohnte Landschaft sonntags für Menschenaugen annimmt, wenn die Arbeit von ihr abfällt. Im Lastauto bekamen alle Lust zu singen. Sie wollten gerade anfangen, da überholten sie ein Mädchen mit einer Handtasche. Aus dem Auto bückten sich welche und schrien: »Marie, he, Marie!« Kunkel ließ halten, bereute es gleich darauf, konnte aber nicht gut weiter, denn das Mädchen streckte schon seine Hand hinauf. Sie fragte: »Fahrt ihr nach Weilerbach?« – »Wir sind auf der Heimfahrt, wir setzen alle ab. Wir setzen dich auch ab. Steig auf.« Sie packten Marie unter die Achseln und zogen. Das Lastauto fuhr weiter. Auf der Straße hatte Marie nach nichts Besonderem ausgesehen. Jetzt aber, Knie an Knie, waren die Jungens ganz benommen von ihrer Nähe, ihrem Sommergeruch. Marie spürte die Blicke in ihre Brust hineinkrabbeln und machte den obersten Blusenknopf zu. Einer sagte: »Wir werden dir schon nichts abgucken.« Marie erwiderte: »Aber auch nichts dazu.« Ein anderer sagte: »Na, du hast ja auch genug.« Kunkel drehte sich herum und machte scharf: »Psss.« Alle wurden still. Marie hatte schon eine Antwort auf der Zunge, die mußte sie jetzt auch schlucken. Sie sagte: »Ei, Christian, Ihr habt Euch aber gut rausgemacht. Ja, wahrhaftig.« Jemand sagte: »Das

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