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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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sodass sie nach draußen sehen konnten. Ein Mann in der Kleidung eines Tagelöhners lag in der Mitte des Hofes, die Augen starr in den Himmel gerichtet. Um ihn herum schwebten geisterhafte Menschen, deren Haut und Kleidung schwerste Verbrennungen aufwiesen. Die Augen von einigen hingen lose aus ihren Höhlen, und ihre Arme und Beine waren teilweise bis auf die Stümpfe zu Asche verbrannt.
    »Geister«, hauchte Icherios. Normalerweise waren sie ungefährlich, doch ohne die dämpfende Wirkung des Schleiers schienen sie an Macht gewonnen zu haben.
    »Wenn alle Brandopfer die Straßen unsicher machen, sind die Menschen verloren. Wisst ihr, wie oft in Heidelberg das Feuer wütete?«, fragte Silas.
    »Und es wird noch schlimmer werden«, prophezeite Ehregott Kossa. »Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild, kein anderes Wesen hat ein Recht auf Intelligenz.« Er blickte Franz und Gismara verächtlich an.
    »Und doch seid Ihr hier, um unsere Hilfe zu erbitten«, stellte Silas fest.
    »Ich biete Euch die Gelegenheit, Eure Seelen reinzuwaschen, indem Ihr Gottes Werk verrichtet.«
    »Diese Diskussion führt zu nichts«, fuhr Icherios genervt dazwischen. »Könnt Ihr uns sagen, wo das Fragment hingebracht wurde oder wo sich die Maschine mit dem Artefakt befindet?«
    »Irgendwo unter dem Hexenturm.« Kossa holte ein Pergament hervor, auf dem ein Ring aus verschiedenen Perspektiven abgebildet war. »Kennt Ihr diesen Ring?«
    »Ich weiß, wem er gehört«, sagte Gismara. »Auberlin wollte, dass ich ihn von Hazecha stehle.«
    »Er soll den Zugang zur Maschine öffnen.«
    »Dann sollten wir keine Zeit verlieren.« Silas stand auf. »Ich habe keine Lust, mit einer Horde Verrückter zu leben.«
    »Danke«, bemerkte Franz trocken.
    »Anwesende ausgenommen.«
    »Ihr solltet Verstärkung mitbringen. Meine Kräfte lassen nach, und wir wissen nicht, was uns dort unten erwartet«, sagte der Glasfürst.
    »Raban«, sagte Icherios. »Er wird sich die Gelegenheit, Gottes Werkzeug zu sein, nicht entgehen lassen.«
    »Wir teilen uns auf.« Silas’ Stimme duldete keine Widerrede. Man merkte, dass er früher Söldner kommandiert hatte. »Gismara und ich gehen zu Hazecha. Der Rest holt diesen Raban. Wir treffen uns an der Heiliggeistkirche.«
    Franz wollte aufbegehren, doch Gismara blickte ihn warnend an. »Du kennst Hazecha. Sie wird keine zwei Männer in ihrem Haus dulden, und ich will jemanden an der Seite des jungen Burschen wissen, dem ich vertraue.«
    Niemand beachtete Ehregott Kossa, während sie ihre Vorbereitungen trafen und dann leise aus dem Haus schlichen.

45
    Die Nacht der Craban
    G
    22. Novembris, Heidelberg
    V on der Spitze des Hexenturms schoss ein dunkelvioletter Strahl in den nächtlichen Himmel und beleuchtete die sich verdichtende Spirale aus Wolken, die sich über Heidelberg gelegt hatte. Die Stadt schien den Atem anzuhalten. Dann erschall das Wehklagen Tausender Stimmen, und aus dem dichten Forst um das Heidelberger Schloss erhob sich ein gewaltiger Schwarm Craban, der auf den Turm zuflog. Blitze zuckten in der tosenden Wolkenspirale, als die Vögel eintrafen und kreischend um den Turm kreisten, der in dieser Stunde seinen alten Namen Krähenturm zurückforderte. Auf den Straßen fielen die Menschen auf die Knie und beteten zu Gott. Vergessen waren die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten. Gemeinsam drängten sie sich in die Schatten der Häuser, um den wütenden Geistern zu entkommen.
    In diesem Wahnsinn schlichen Silas und Gismara durch die Straßen. Sinthgut ermöglicht es ihr, die Anwesenheit eines Geistes in einigen Schritten Entfernung zu spüren, sodass sie unbehelligt bis zu Hazechas Haus gelangten.
    Nachdem sie leise angeklopft hatten, ließ die Lamia sie ein und musterte sie von Kopf bis Fuß.
    »Ihr wollt meinen Ring.« Sie drehte sich um und ging mit schwingenden Hüften hinauf in ihr verschwenderisch ausgestattetes Schlafzimmer. Zahlreiche Spiegel vervielfältigten ihr hinreißendes Antlitz. Silas blickte sich misstrauisch um. An Gismara hatte er sich gewöhnt; das bedeutete jedoch nicht, dass er seine Abneigung und seinen Argwohn den anderen Hexen gegenüber abgelegt hatte.
    Gismara sank vor der Hohepriesterin in die Knie. »Herrin, ich bitte dich um diesen Schlüssel.« Sie blickte ihr in die Augen. »Du weißt, wie viel mir die Menschen bedeuten.«
    Hazecha zog sie sanft auf die Füße und strich ihr zärtlich über die Wange. »Der Ring ist dein, wenn du mir ein Versprechen

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