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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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meiden. Die Nachtwächter mit ihren verfluchten Hunden haben ein gutes Auge für Wesen wie mich. Sie gehören zu den wenigen Menschen, die sich nicht vor der anderen Welt verschließen.«
    »Wieso bist du in Heidelberg?«
    »Noch immer ganz der Gelehrte, wie ich sehe.« Sie griff in ihren Mantel und holte einen versiegelten Brief hervor. »Das sind Auszüge aus dem Lunalion und dem Solequium. Raban bat mich, sie dir zu bringen.«
    Diese beiden Bücher waren vom Schöpfer der Vampire, Hermes Trismegistos, geschrieben worden und bargen viele alchemistische Geheimnisse.
    Carissima hielt an und zwang ihn sie anzusehen. »Du weißt, dass ich dich von dem Strigoi befreien kann. Lass mich dich verwandeln, und du wirst ewig forschen können und Herr über deine Sinne bleiben.«
    Icherios schrak zurück. »Du wusstest von Rabans Plan und kommst nun als seine Abgesandte, um mich bei meinen Experimenten zu unterstützen?«
    »Wie kannst du es wagen?«, fauchte sie ihn an und riss sich los. Einen Moment lang sah es so aus, als ob sie sich gleich auf ihn stürzen würde, dann beruhigte sie sich wieder. »Wieso sagst du so etwas?«
    »In der Andreasnacht versprach er mir, nicht zuzulassen, dass ich jemanden töte, und dann hat er mir einen Menschen zum Fraß vorgeworfen.«
    »Du wärst sonst gestorben.« Ihre Stimme war teilnahmslos.
    Icherios erinnerte sich an den Kerker unter ihrem Schloss, in dem sie Verbrecher wie Vieh hielt, um sich an ihnen zu laben. Wie sollte er einem solchen Wesen verständlich machen, was es für ihn bedeutete, einen Menschen zu töten? »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Was hätte es schon geändert?«
    »Ich hätte eine Wahl gehabt.«
    »Ich hatte auch keine Wahl, ob ich als Mensch oder Vampir geboren werde. Wir sind, was uns Gott bestimmt zu sein.«
    »Wohl eher der Teufel. Ich kann mich jedenfalls nicht mit dem Leben als Strigoi abfinden.«
    »Du wärst nicht der erste Mensch, der angesichts des nahenden Todes seine Meinung ändert. Denk immer daran, mein Angebot bleibt bestehen. Zumindest solange du im Bett noch zu gebrauchen bist.« Sie zwinkerte ihm zu und ging weiter.
    »Wie lange bleibst du?«
    »Einige Tage. Ich bin froh, dem eintönigen Dasein in Dornfelde für eine Weile zu entkommen. Außerdem werden in Heidelberg immer wunderbare Bälle gegeben.«
    »Leben hier noch andere Vampire?« Der Gedanke erschreckte Icherios. Er hatte nie in Betracht gezogen, dass die Welt, wie er sie kannte, ebenfalls von mystischen Wesen bevölkert sein könnte. Ihm wurde bewusst, dass ihn Carissimas Anwesenheit deshalb so beunruhigte. Sie brachte die Magie und das Grauen aus dem Schwarzwald mit sich, das er versucht hatte, aus seinem Leben zu verdrängen.
    »Nicht dass ich wüsste. Aber wir führen auch keine Listen, und neben uns zivilisierten Vampiren gibt es noch so viele, die für die Schreckgeschichten über uns verantwortlich sind, dass wir nie wissen, wann wir jemandem von unserer Art begegnen.«
    Den restlichen Weg legten sie schweigend zurück. Iche­rios konnte sich nicht entscheiden, ob er ihre Gegenwart als angenehm oder erschreckend empfand, und er war erleichtert, als sie sich vor dem Magistratum verabschiedete. In seinem Zimmer holte er seinen Koffer hervor und öffnete das Versteck, das unter einem doppelten Boden verborgen lag. Darin lagen zwei Glasfläschchen, gefüllt mit einer giftgrünen Flüssigkeit, gut gepolstert in einem Bett aus Holzwolle. Laudanum. Er hatte sich die letzten Wochen beherrscht und gehofft, von seiner Droge losgekommen zu sein, aber die Erinnerungen an die Vorgänge in Dornfelde und daran, wie er den Mann zerfleischt und gefressen hatte brachten, ihn aus der Fassung. Außerdem waren da noch seine zwiespältigen Gefühle Carissima gegenüber, dann die Sorge um Julie – er traute Carissima zu, sich der Konkurrentin im Rahmen einer Abendmahlzeit zu entledigen. All das erweckte in ihm den unbezwingbaren Drang, sich dem süßen Vergessen hinzugeben.
    Er setzte Maleficium auf sein Knie, während er vor seinem Koffer auf dem Boden saß. »Was soll ich nur tun, kleiner Freund?«, flüsterte er.
    Die Ratte fiepte leise. Icherios griff nach einer der Flaschen. In dem Moment sprang der Nager hinunter und zwickte ihn in den Zeigefinger.
    »Verdammt, was soll das?« Dann seufzte er auf. »Du hast ja recht, ich sollte das nicht tun.«
    Er nahm Maleficium mit zu seinem Bett und ließ sich in voller Kleidung in die weichen Federn fallen. Kurz

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