Der Kraehenturm
es beunruhigend genug, dass Freyberg von dem Vampirbiss wusste. Er fürchtete Auberlins Reaktion. Ob er ihn aus Sicherheitsgründen sofort töten lassen würde, wenn er erführe, dass er ein Strigoi war?
»Ich sehe es gerne, dass Ihr so um Euer Studium bemüht seid. Fahrt so fort, und Ihr werdet es noch weit bringen – in der Forschung und im Ordo Occulto.«
»Danke.« Icherios neigte bescheiden den Kopf. »Darf ich Euch etwas fragen?«
»Nur zu.«
»Bei all den Büchern, die ich bisher gesehen habe, befindet sich keines, das sich mit dem Ordo Occulto und seinen Ursprüngen beschäftigt. Selbst hier im Magistratum konnte ich keines entdecken.«
Auberlin zog sich einen Stuhl heran. »Es wurde alles verbrannt, damit dieses Wissen nicht in die falschen Hände gerät. Es wird heutzutage ausschließlich mündlich überliefert. Freyberg hätte Euch unterrichten müssen. Es sieht ihm ähnlich, dass er selbst bei solch einer Kleinigkeit niemandem vertraut.«
»Werdet Ihr es mir erzählen?« Icherios beugte sich begierig vor. Würde er nun endlich mehr über diese Organisation erfahren?
»Vor etwa hundertfünfzig Jahren, kurz nach der Gründung des Ordens der Rosenkreuzer, stellte ein hochrangiges Mitglied, Michaelis Deodore von Albers, fest, dass die Kreaturen der Nacht, und allgemein die der Magie, tatsächlich existieren. Im Gegensatz zu vielen anderen betrachtete er sie allerdings nicht grundsätzlich als gefährlich oder vom Teufel gesandt, sondern sah in ihnen potenzielle Verbündete und interessante Forschungsobjekte.« Auberlin stand auf, ging zu einem kleinen Schränkchen und holte daraus eine Flasche Portwein hervor. Seine Hände zitterten etwas, als er ihnen jeweils ein Glas eingoss.
Icherios bedankte sich und nippte an dem herbsüßen Getränk, während er den Ausführungen des Mannes weiter lauschte.
»Unter den Rosenkreuzern entbrannte ein Streit. Einige wollten vergessen, dass sie jemals von Vampiren, Werwölfen und Hexen gehört hatten, andere wollten sie töten, und wieder andere stellten sich auf Albers’ Seite. Um den Frieden wiederherzustellen, beschloss Albers einen geheimen Ableger der Rosenkreuzer zu erschaffen, der die Vorgänge im Reich der Magie untersuchen und nur wenn nötig eingreifen sollte. Am ersten Februar des Jahres 1643 wurden die notwendigen Urkunden unterzeichnet, und der Hauptsitz des Ordo Occulto wurde in Jena gegründet.«
»Warum ausgerechnet dort?«
»Zur damaligen Zeit lag die Stadt nahe dem Mittelpunkt des Reichs, und es lag im Interesse des Ordens, dass die Mitarbeiter schnell an jeden Ort reisen können, wenn nötig. Nach und nach wurden weitere Außenstellen eröffnet – die genaue Anzahl kennt aber nur der Prior. Es wird gemunkelt, dass es über zwei Dutzend sind.«
»Und die Vorgänge werden noch immer von Jena aus kontrolliert?«
»Ja, wobei einzelne Ämter auch an einige Leiter der Außenstellen vergeben werden. So bin ich der dritte Schatzmeister. Mehr darf ich Euch aber nicht berichten, erst wenn Ihr weiter in den Rängen des Ordo Occulto aufsteigt, werdet Ihr Schritt für Schritt eingeweiht werden.«
Icherios nickte Auberlin dankbar zu. Immerhin wusste er nun etwas mehr über die Organisation, für die er arbeitete. Wenigstens ein Mensch, der ihm ein wenig Vertrauen schenkte und seine Geheimnisse nicht wie ein Festtagsgewand trug. »Ich hätte noch eine Frage.«
»Wenn es in meiner Macht steht, werde ich sie beantworten.« Auberlin lächelte ihn freundlich an.
»Ich möchte Euch nicht zu nahetreten, aber Freyberg hat schwere Vorwürfe gegen Euch vorgebracht.« Icherios hielt gespannt den Atem an. Würde er nun einen anderen Auberlin kennenlernen, den Menschen, vor dem ihn Freyberg gewarnt hatte?
Doch der Leiter des Magistratum schüttelte nur traurig den Kopf. »Er kann sich einfach nicht von der Vergangenheit lösen. Ihr müsst wissen, dass wir zusammen studiert haben. Und wie es junge Männer nunmal so machen, lagen wir in einem fortwährenden Wettstreit, nicht nur um unsere Leistungen in der Wissenschaft, sondern auch um das Herz einer Frau: Cäcilie.«
Einen Augenblick lang verdunkelten sich Auberlins Augen, Trauer überzog sein Gesicht.
»Wir verliebten uns, doch Freyberg begehrte sie ebenfalls und ertrug es nicht, dass sie sich für mich entschied und wir heirateten. Leider blieb unsere Ehe kinderlos, was ihre arme Seele nicht verkraftete. Ihr sehnlichster Wunsch waren immer eigene Kinder, selbst mein Angebot, uns einiger Waisenkinder
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