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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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anzunehmen, konnte sie nicht von ihrem Gram erlösen. Schließlich verließ sie mich, um ihr Leben ganz Gott zu widmen, doch ihre Seele war geschunden, und so starb sie trotz aller Bemühungen der besten Ärzte an einer Lungenentzündung. Seither erhebt Freyberg schwere Vorwürfe gegen mich, und das, obwohl ich sie mindestens so sehr liebte wie er.«
    Icherios schluckte. Auberlin klang so ehrlich – war der ganze Streit tatsächlich nur entstanden, weil Freyberg die Zurückweisung nicht ertragen hatte? Doch warum war Vallentin dann tot? Zufall? Sie blieben noch eine Weile schweigend sitzen, dann verabschiedete sich Auberlin, und auch Icherios kehrte in sein Zimmer zurück.
    Den nächsten Tag verbrachte Icherios mit weiteren Experimenten und dem Aufbau der Lebendfallen. Am Abend war er mit Marthes und seinen Kommilitonen im Neckartänzer verabredet. Vor seiner Reise nach Karlsruhe war es ihm als eine gute Idee erschienen, nun bereute er jede Minute, die er sich nicht mit seinen Nachforschungen beschäftigen konnte. Aber er wollte Marthes nicht enttäuschen und zumindest ein wenig Normalität in seinem Leben wahren.
    Der Abend begann wie immer. Sie saßen an ihrem Stammtisch, tranken reichlich, und Julie zwinkerte Icherios zutraulich zu. Der junge Gelehrte fühlte sich dabei nicht wohl. Hin- und hergerissen zwischen seiner Zuneigung zu ihr und seiner Angst, was er ihr als Strigoi antun könnte, wich er ihren Berührungen aus.
    Es war bereits dunkel, ein starker Wind fegte eisigen Regen durch die Straßen, als Icherios nach draußen ging, um sich zu erleichtern. Es überraschte ihn nicht, als er kurz darauf die zaghaften Schritte Julies hörte und ihre Finger unter sein Hemd kriechen spürte. »Ich freue mich auf später«, wisperte sie in sein Ohr, während sie an seinem Ohrläppchen knabberte.
    Icherios lehnte sich zurück, konnte nicht anders, als die Wärme ihres Körpers zu genießen. »Wir müssen reden.«
    Plötzlich wich Julie zurück und schrie erschrocken auf. Nach hinten taumelnd drehte sich der junge Gelehrte um und hielt bei dem Anblick, der sich ihm bot, die Luft an. Die Schankmaid lag zu Füßen einer wunderschönen, hochgewachsenen Frau mit langen, tiefschwarzen Locken. Sie trug ein edles Kleid mit einem weiten Reifrock aus tiefrotem Samt. Über ihren Schultern lag ein schwarzer Umhang aus dichtem Pelz. Die Frau packte Julie an der Kehle und hob sie wie eine Puppe hoch. Dann fletschte sie die Zähne und entblößte ein Paar spitze, weiße Fangzähne, die im Licht der Laterne glitzerten.
    »Renn um dein Leben, Kleine, und kehre nicht zurück.« Sie stieß das Schankmädchen wie ein Stück Abfall zu Boden. Schluchzend rappelte diese sich auf und rannte weinend davon.
    »Carissima«, krächzte Icherios.
    »Ich sehe, du hast nicht gezögert, dir eine neue Spielgefährtin zu suchen.« Ihre samtige Stimme besaß einen scharfen Ton, der Icherios schmerzte.
    Carissimas Anblick weckte in ihm sowohl schöne als auch grausige Erinnerungen, während es ihn zugleich beschämte, dass sie ihn mit dem Schankmädchen gesehen hatte. Kein gebührender Empfang für seine ehemalige Geliebte.
    »Sie bedeutet mir nichts.« Icherios verfluchte sich für die­se Worte. Wie sehr verachtete er sonst die Männer, die junge Frauen nur zu ihrem Vergnügen benutzten, und nun äußerte er sich genauso abfällig über Julie. Aber durfte er der Vampirin die Wahrheit sagen? Was würde sie dem Mädchen antun, sollte sie ihren Zorn erregen?
    Carissimas leuchtend blaue Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen.
    »Wir wissen doch beide, dass das nicht stimmt.« Sie trat an ihn heran, und er roch ihren Atem, eine Mischung aus Veilchen und Blut. »Lüg mich nicht an.«
    Icherios wich einen Schritt zurück. Plötzlich lachte Carissima und griff seine Hand. »Lass uns zum Magistratum gehen.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
    Der junge Gelehrte blieb benommen stehen und fuhr mit den Fingern über die Stelle, an der ihre Lippen ihn berührt hatten. Erinnerungen an Dornfelde und ihre gemeinsamen Nächte kamen ihm in den Sinn, während er zugleich Ekel verspürte, als ihm bewusst wurde, dass sie ihre Zähne vermutlich erst vor Kurzem in Menschenfleisch versenkt hatte. Seit der Andreasnacht konnte er darüber nicht mehr so einfach hinwegsehen.
    »Du weißt vom Magistratum?«
    Carissima lachte. »Ich bin 130 Jahre alt. Ich weiß vieles.« Sie hakte sich bei ihm unter und führte ihn in eine dunk­le Gasse. »Wir sollten die beleuchteten Wege

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