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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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darauf fiel er in einen leichten Schlummer, der in einen furchtbaren Albtraum überging, in dem ihn der Mörder aus Dornfelde anfeuerte, während er einen Menschen nach dem anderen zerfetzte und deren Blut trank. Schweißgebadet fuhr er hoch. Er ignorierte Maleficiums Protest, stürzte zu dem Koffer und nahm einen großen Schluck Laudanum. Sofort überkam ihn eine beschwingte Leichtigkeit, und innerhalb weniger Minuten war er in einen gnädigen, ohnmachtsähnlichen Schlaf versunken.

18
    Katerstimmung
    G
    4. Novembris, Heidelberg
    I cherios erwachte am nächsten Morgen mit einem dröhnenden Kopf. Noch bevor er die Augen geöffnet hatte, wurde ihm durch die Helligkeit, die durch seine Lider drang, bewusst, dass er zu spät zur Vorlesung kommen würde. Stöhnend drehte er sich um. Die Mischung aus Wein, Bier und Laudanum hatte ihm übel zugesetzt. Wütend schlug er auf sein Kissen ein. So lange hatte er sich beherrscht und nun das!
    Torkelnd stand er auf, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und zog sich an. Kurz bevor er aus der Tür eilte, fiel ihm auf, dass er keine Schuhe trug, seine Weste verkehrt herum angezogen hatte und dass er Maleficium vergessen hatte, der noch unter seiner Bettdecke schmollte. Fluchend drehte er um, behob die Fehler und stürmte aus dem Haus. Mit dem grellen Sonnenschein hatte er allerdings nicht gerechnet, als er vor die Tür trat. Jammervoll schrie er auf. Seit Wochen regnete es, und ausgerechnet heute musste die Sonne scheinen! Er setzte seine Brille auf und wünschte sich, die Gläser wären dunkler getönt, bevor er seinen Weg fortsetzte.
    Wie er nicht anders erwartet hatte, kam er zu spät. Professor Frissling begrüßte ihn mit einem hämischen Grinsen.
    »Wie schön, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren. Ich darf Sie somit über eine neue Lehrmethode informieren. Für jegliches Fehlverhalten, wie zum Beispiel Zuspätkommen, erhalten die Studenten einen Minuspunkt. Durch herausragende Leistungen können sie diesen aber wieder ausgleichen. Sobald ein Student drei Minuspunkte gesammelt hat, verbringt er einen Tag im Karzer.«
    Icherios war sprachlos. Hatte dieses schwarze Schreckgespenst sich das nur für ihn ausgedacht? Er war zu erschlagen, um sich mit dem Jesuiten zu streiten, und setzte sich stumm auf seinen Platz, während ihm Frissling demonstrativ und unter viel Aufhebens den ersten Minuspunkt verpasste.
    Marthes kritzelte hastig etwas auf einen Zettel und schob ihn zu ihm hinüber. Wohin bist du letzte Nacht verschwunden?
    Der junge Gelehrte zögerte. Wie sollte er das Marthes erklären?
    Weibergeschichte.
    Julie war ganz aufgelöst.
    Eine alte Freundin hat mich besucht.
    Marthes grinste ihn an und klopfte ihm unauffällig auf die Schulter. Auch du wirst noch ein echter Student!
    Icherios hoffte nur, dass Marthes niemals die ganze Wahrheit erfuhr. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was das Wissen um blutgierige Vampire und Monster aus dem fröhlichen, jungen Mann machen würde.
    An diesem Morgen hatten sie nur die Stunde bei Professor Frissling und danach bis zum Nachmittag frei. Obwohl seine Kommilitonen, allen voran Marthes, versuchten ihn zu überreden, weigerte er sich, mit ihnen zum Neckartänzer zu gehen. Nicht nur, weil er Julie nicht unter die Augen treten wollte. Die letzte Nacht hatte ihm gezeigt, dass er sich das freie Leben eines Studenten einfach nicht leisten konnte. Er musste zuerst ein Heilmittel finden, wenn er nicht sterben oder einen weiteren Menschen töten wollte.
    Zurück im Magistratum fand er eine kleine Portion frischen Fleischs vor seiner Tür. Franz hatte es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, sich ebenfalls um Maleficiums leibliches Wohl zu kümmern. Icherios setzte den Nager mit der Leckerei in den Käfig, dann öffnete er den Brief, der bei den Aufzeichnungen lag, die ihm Carissima gebracht hatte.
    Mein lieber Freund,
    auch wenn ich Dein Bestreben um Heilung nicht gutheißen kann, so bin ich Dir doch zu Dank verpflichtet. Ich schicke Dir hiermit die gewünschten Abschriften, aber bedenke die Konsequenzen für Dich und die Menschen, sollten sie in die falschen Hände geraten.
    Carissima wird Dir Gesellschaft leisten. Sie braucht Abwechslung vom ländlichen Leben, und sie kann die Hoffnung nicht aufgeben, Dich eines Tages für uns zu gewinnen.
    Hochachtungsvoll
    Calan, Graf von Sohon
    Ein kalter Hauch wehte durch das Zimmer, der Icherios schaudern ließ. Die Drohung war offensichtlich. Auch wenn der Fürst von Sohon ihm dankbar war, so

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