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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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Icherios an der Tür zu Carissimas Gemächern. Wie zu erwarten, bestanden sie aus einer verschwenderischen Pracht von schwerem Brokat, dicken Teppichen und Stofftapeten. Der große Empfangsbereich ging in ein weitläufiges Schlafzimmer mit einem gewaltigen Bett über. Die Vampirin stand auf dem Balkon und wandte Icherios den Rücken zu. Trotz der eisigen Kälte trug sie nur ein dünnes, kurzärmliges Kleid, das ihre Figur ideal betonte. Ein funkelnder Smaragd lenkte die Aufmerksamkeit auf die zarten Rundungen ihres Busens.
    »Es fällt mir einfach zu schwer, mich unauffällig zu benehmen.« Carissima schenkte ihm ein Lächeln. »Ich genieße es, die Kälte auf meiner Haut zu spüren.«
    »Woher wusstest du, dass ich komme?«
    »Du hast viele Fragen und hoffst, dass ich dir einige beantworten kann.« Sie trat näher und kraulte Maleficium unter dem Kinn. »Darf ich ihn nehmen?«
    Die Ratte wartete nicht auf Icherios’ Einwilligung, sondern sprang ihr gleich auf die Schulter.
    »Weißt du inzwischen, ob er wirklich unsterblich ist?«
    »Nein, ich brachte es bisher nicht fertig, das auszutesten.«
    »Du bist viel zu menschlich.«
    »Vielleicht möchte ich es dabei auch belassen.«
    »Dafür ist es zu spät.«
    »Nicht wenn ich es rückgängig mache.«
    »Soll ich es für dich tun?«
    Icherios blickte sie verwirrt an.
    »Ihn töten.«
    »Nein!« Er nahm ihr den Nager wieder ab. Ein kalter Wind strich über sie hinweg. Icherios fröstelte.
    »Lass uns reingehen.« Sie führte ihn zu einer gemütlichen Sitzgruppe und füllte zwei Kelche mit dunklem Rotwein. »Du hast Probleme.«
    »Ich bin ein fleischfressendes Monster.«
    Carissima fuhr blitzschnell zu ihm herum und fletschte die Zähne. »Vergiss nicht, mit wem du sprichst.«
    Icherios wich zurück. Es war so leicht zu ignorieren, was Carissima war. Sie wirkte so menschlich, einfühlsam und wunderschön.
    »Verzeih.«
    »Das war es nicht, was ich meinte.« Sie drückte ihm ein Glas in die Hand. »Du hast Laudanum genommen. Ich rieche es in deinem Blut.«
    Nur wegen dir!, wollte Icherios schreien. Stattdessen sank er in die weichen Polster.
    »Ich kann mich nicht damit abfinden, kein Mensch zu sein. Versuch dir vorzustellen, wie es dir erginge, wenn du plötzlich kein Vampir mehr wärst.«
    »Aber dir wurde etwas geschenkt anstatt genommen.«
    »Man hat mir meine Menschlichkeit, meine Unschuld geraubt.«
    Carissima grinste. »Das mit der Unschuld kann ich bestätigen.« Bei Icherios’ verletztem Gesichtsausdruck wurde sie ernst. »Ich verstehe, zumindest versuche ich es zu verstehen. Aber das alleine würde dich nicht wieder zum Laudanum verführen.«
    Icherios blickte sie zweifelnd an. Konnte er ihr vertrauen? Sie war mit Raban bekannt, der wiederum mit Freyberg unter einer Decke steckte. Doch irgendjemandem musste er sich anvertrauen, oder er würde noch wahnsinnig werden. Er wollte gerade zu sprechen ansetzen, da überfiel ihn ein ungutes Gefühl. Es war falsch. Er durfte niemandem trauen.
    Carissima kniete sich zwischen seine Beine, nahm ihm das Glas ab und begann, seine Hose aufzuschnüren.
    »Du brauchst Ablenkung.«
    Icherios versuchte ihre Finger beiseitezuschieben, aber sie ließ sich nicht beirren, und sein Körper reagierte heftig auf ihre zarten Berührungen. Er hatte ihren kühlen Leib vermisst. Als sich ihre Lippen auf die seinen legten, wurde ihm bewusst, dass Julie es niemals mit der Leidenschaft einer Vampirin aufnehmen konnte. Carissima stöhnte, als er an ihrer Kehle knabberte und das Kleid von den Schultern zog.
    Einige Zeit später lagen sie nackt auf ihrem Bett. Icherios fühlte sich schläfrig, entspannt und doch enttäuscht. Der Liebesakt mit der Vampirin hatte ihm zwar all seine Kraft geraubt und lullte ihn in wohlige Müdigkeit, aber es war nicht so gewesen wie früher. Sein Ekel über sein eigenes Dasein als Menschenfresser übertrug sich auf sie.
    »Möchtest du mir nun erzählen, was dich bedrückt?«
    Ohne an seine Zweifel von vorhin zu denken, berichtete ihr der junge Gelehrte von Vallentin, dessen Tagebuch, Rabans Verrat, der Warnung vor dem Magistratum und dem geheimnisvollen Treffen am nächsten Abend in der Grabkapelle.
    »Der Ordo Occulto war schon immer eine Schlangengrube«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Schlaf jetzt, mein Hübscher.«
    Icherios nahm nicht mehr wahr, wie Carissima aufstand, sich an den Schreibtisch setzte und anfing, einen Brief zu schreiben.

19
    Der Leichenkeller
    G
    5. Novembris, Heidelberg
    D as Mondlicht ruhte

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