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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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ihn immer mehr quälte. Inzwischen vermochte er kaum noch zu atmen, der Tod schien schon auf ihn zu warten.
    Sobald sie das Haus betrat, gab Gismara einem Diener ihren Mantel. Darunter trug sie ein hellbraunes Kleid mit goldenen Stickereien. Ein Schwarzes wäre der Situation angemessener gewesen, aber Wylhelm verabscheute diese Farbe. Sie nahm dem Dienstmädchen ein Tablett mit Tee und Keksen ab und ging in das Zimmer des alten Mannes. Er lag in einem riesigen Bett, in dem er regelrecht zu verschwinden schien. Sein Körper war von der Krankheit so ausgezehrt, dass von dem einst übergewichtigen Hünen nur noch Haut, Knochen und hervortretende Sehnen übrig geblieben waren.
    Keuchend versuchte er, sich aufzurichten.
    »Da bist du ja endlich.«
    Sie stellte das Tablett auf einen Nachttisch und drückte ihn in die Kissen zurück.
    »Bleib liegen, schon deine Kräfte.«
    »Wofür denn? Der Tod klopft bereits an das Fenster.«
    »Wo sind deine Ärzte?«
    Eine Mischung aus Husten und Lachen durchzuckte die schmächtige Brust.
    »Ich habe sie davongejagt. Es gibt schon genug Speichel­lecker, die von meinem Tod profitieren. Da brauche ich nicht noch ein paar Quacksalber, die mir sagen, dass ich sterbe. Das weiß ich auch so.«
    »Sie wollen dir nur helfen.« Gismara steckte die dicke Decke fest um den alten Körper. Wylhelm fror bei diesem Wetter schnell.
    »Haben sie dir Schmerzmittel dagelassen?«
    »Bleib mir weg mit dem Zeug. Meine letzten Stunden will ich wach erleben und nicht wie eine benebelte Hure.«
    Gismara lachte. »Wenn du nur ein wenig nimmst, bleibt dein Geist klar.«
    »Ich sagte Nein !«
    »Hazecha sprach von einem Auftrag.«
    »Ja, eine letzte, sehr gut bezahlte Aufgabe.«
    »Was möchtest du dieses Mal?«
    Er hob abwehrend die Hand. »Gedulde dich einen Augenblick, ich erwarte noch jemanden.«
    Die Hexe starrte ihn überrascht an. Sie hatte nicht gewusst, dass es einen Menschen in seinem Leben gab, den er an seinem Sterbebett sehen wollte, als auch schon die Türglocke erklang.
    »Da kommt er schon.«
    Während der Besucher das Zimmer betrat, war Gismara froh, dass sie saß. Ein Laut des Schreckens drang über ihre Lippen, den weder Wylhelm noch der Neuankömmling bemerkten. Eine Woge der Übelkeit stieg in ihr auf. Sie kannte ihn! Es war derselbe Mann, mit dem sie im Mäuseschwanz geschlafen hatte, nur dass er diesmal die Gewandung eines Priesters trug!
    »Darf ich vorstellen: Gismara Marlewag, das ist Diakon zur Hohenweide.«
    Gismara stand kurz vor einer Ohnmacht. Sie hatte den Glauben an einen gütigen Gott aufgegeben, nachdem ihr Mann sie zum ersten Mal geschlagen hatte. Dennoch steckte genug katholische Erziehung in ihr, um die Höllenfeuer zischen zu hören, als ihr bewusst wurde, dass sie mit einem Priester geschlafen hatte.

24
    Der letzte Wunsch
    G
    8. Novembris, Heidelberg
    S ilas wanderte mehrfach vor dem Haus von Wylhelm von Dilak auf und ab, bevor er sich entschließen konnte hineinzugehen. Er wäre lieber einer kampfbereiten Hexe gegenübergetreten als diesem alten Mann. Sich aus der Beichte eines Heuchlers einen Spaß zu machen oder selbstverliebte Pfaffen an der Nase herumzuführen, war eine Sache. Einen Sterbenden zu betrügen eine ganz andere.
    Wylhelm hatte zeit seines Lebens keine enge Bindung zur Kirche gehabt. »Umso wichtiger ist es, seine Seele Gott zuzuführen«, konstatierte August, während sich sein feistes Gesicht voller Verachtung für den Ungläubigen verzerrte.
    Silas wusste, worum es eigentlich ging – den Zaster des alten Knackers. Er wäre nicht der Erste, der sich im Angesicht des Todes von seinen vermeintlichen Sünden freizukaufen versuchte, und die Kirche hielt nur zu gerne die Hand auf. Aber was sollte er machen, wenn er jemandem gegenüberstand, der ernsthaft bereute?
    Ein elegant gekleideter Diener empfing ihn voll ehrfürchtigem Respekt, ein Verhalten, das den Hexenjäger, gewohnt an Verachtung und Angst, verunsicherte. Man führte ihn in Wylhelms Gemach, bei dessen Anblick Silas’ Mundwinkel sich angewidert verzogen. Der Kerl hatte wirklich zu viel Geld. Vergoldete Griffe prangten an den Türen, die Wände zierten Tapeten, in die Goldfasern eingewebt waren, und ein goldener Kristalllüster, von dessen Wert eine fünfköpfige Familie mehrere Monate leben könnte, hing von der Decke. Alles Gold der Welt schützt weder vor Krankheit noch vor Tod, dachte Silas, als er den mageren, von Leid gezeichneten Mann sah. Dann bemerkte er die Frau, die neben ihm auf einem

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