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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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bis sie ziemlich sicher war, eine Stelle entdeckt zu haben, die sie aus dem Film Blow Up kannte. Sie setzte sich so nahe wie möglich an diesen Platz und beobachtete jeden, der den Park betrat. Sie fummelte an dem kleinen Springmesser herum, das sie sich gekauft hatte, wie nutzlos es auch sein mochte. Viel mehr jedoch verließ sie sich auf das Tageslicht und die Passanten. Zugleich aber fragte sich Marge, ob sie ihre Zielperson überhaupt erkennen würde, wenn sie den Park betrat.
    Als ihr Lockruf nach beinahe einer Stunde tatsächlich erhört wurde, gab es nicht den kleinsten Zweifel. Es war nicht eine Person, es waren drei. Alles Männer. Sie eilten die schmalen Pfade entlang und sahen sich dabei in alle Richtungen um. Es waren große, athletische Burschen, die alle die gleichen Technikeruniformen trugen. Der Älteste, der ganz vorne ging, winkte seinen beiden Begleitern zu, sich zu verteilen. Marge erhob sich: Sie würde sich sicherer fühlen, wenn sie alle drei zugleich vor sich hatte, nicht nur einen. Sie entdeckten sie sofort. Sie schloss die Hand um das Messer.
    »Hi«, sagte sie. »Ich bin Tyno Helig.«
    Sie hielten ein wenig Abstand. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, und die Kiefermuskulatur des vorderen Mannes arbeitete krampfhaft.
    »Wer«, fragte er, »sind Sie? Was zum Teufel tun Sie? Sie sagten, Sie hätten eine Botschaft?«
    Sie sah ihm seine widersprüchlichen Gefühle an. Zorn, natürlich, dass sie entdeckt und am Arbeitsplatz geoutet worden waren, wo sie doch ganz in Zivil auftraten. Zorn, so getäuscht worden zu sein, Zorn, weil ihr Glaube verhöhnt wurde, wovon er offensichtlich überzeugt war. Und doch war da neben all dem Ärger auch noch eine gewisse Erregung. Sie erkannte den kleinen Bastard Hoffnung. »Wie lautet die Botschaft?«, fragte er.
    Also funktionierte ihr Plan. Tyno Helig, keine Person, sondern ein Ort; eines der versunkenen Königreiche, das walisische Atlantis. Das, hatte sie überlegt, als sie an ihrem Plan gearbeitet hatte, dürfte sie neugierig machen. »Wer sind Sie?«, fragte der Mann wieder.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie in die Irre geführt habe«, sagte sie. »Ich musste sie rauslocken. Es tut mir wirklich leid ...« Sie zögerte eine Sekunde, aber zum Teufel, sie war zu erschöpft, um sich allzu viele Gedanken über die verletzten Gefühle anderer zu machen. »... hier geht es nicht um Ihre angestrebte Springflut. Ich habe eine Frage an Sie.«
    Der Mann hob die geballten Fäuste an den Kopf, als wollte er sich selbst schlagen. Dann packte er sie plötzlich an den Mantelaufschlägen. Seine Begleiter rückten näher und schirmten sie vor den Blicken der Passanten ab. »Unsere was?«, flüsterte er. »Sie haben eine Frage? Wissen Sie, wer wir sind? Sie liefern mir jetzt besser einen Grund, Sie nicht zu ersäufen. Wissen Sie, wer wir sind?«
    Sie hatte eine Vorstellung, durchaus. Während ihrer Recherchen traten immer wieder überspannte Überzeugungen zutage. Und sie hatte lange genug nach dieser Info fischen müssen.
    Die Gemeinschaft der Gesegneten Flut. Der Regenbogen, so hatte sie durch einen schwer greifbaren Online-Theologen erfahren, war kein Versprechen, er war ein Fluch. Der Sündenfall war nicht eingetreten, als das erste Paar den Garten verlassen hatte: All das war nur irgendeine grausige, präglückselige Traumzeit der Prüfungen gewesen. Tatsächlich jedoch belohnte Gott die Gläubigen am Ende mit seinem geheiligten Regen.
    Fehlinterpretation, hatte sie gelesen. Wenn Noah, Ziusudra, Utnapishtim oder die gleiche Figur unter irgendeinem anderen Namen den Auftrag erhalten hätte, eine Arche zu bauen, warum stand das dann nicht in der Tora? Warum war seine Arche kein onia, ein Schiff, sondern ein teba, ein Kästlein? Weil es nicht dazu gedacht war, auf den Wogen zu reiten, die Gott schickte, sondern dazu, unter ihnen zu wandeln. Das erste Unterseeboot der Geschichte, erbaut aus Gopherholz, dreihundert Ellen lang, dazu vorgesehen, die neue Welt zu bereisen, die Gott versprochen hatte. Sie hätten die Seetangweiden abernten sollen, doch die, die für das gewässerte Paradies bestimmt gewesen waren, hatten versagt, und Gott hatte zornentbrannt die Wasser fortgenommen. Die Strafe war das Land, in dem wir lebten, da wir aus dem Ozean verbannt worden waren.
    Die Gemeinschaft der gesegneten Flut betete für die Wiederherstellung der Nässe. Marge hatte von ihrem Utopia gelesen, untergegangen, doch nicht, um vernichtet zu werden, nein, um belohnt zu werden: Kitesch,

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