Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Freund, aber sie musste ihn in eine unmögliche Lage gebracht haben, weil sie seine Nachrichten gleich einige Male nicht beantwortet hatte.
    Nicht, dass sie verwirrt gewesen wäre. Oder getrieben, überwältigt, nicht mehr ganz bei Verstand. Es war nichts in der Art. Es war nur, so empfand sie es, dass sie sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte. Sie war nicht hysterisch. Sie hatte nur herausgefunden, dass London nicht war, was es sein sollte, sie hatte herausgefunden, dass die Welt sie belogen hatte, und sie musste mehr erfahren. Und Marge wollte immer noch wissen, was aus Leon geworden war.
    Nicht, dass er noch am Leben wäre. Sie wusste, dass diese idiotische Lichtstotternachricht ihr die Wahrheit verraten hatte.
    Was sie hierhergeführt hatte, zu diesem gärtnerisch gestalteten Grün direkt am Sperrwerk des Flusses. Hier, an dieser imaginären Flussmündung nahe den Industriebrachen von Silvertown, ragten die Wehranlagen der Thames Barrier wie riesige, außerirdische Bienenkörbe aus dem Wasser, wie fremdartige Wesen mit silberfarbenen Rückenpanzern. Zwischen ihnen plätscherte braunes Wasser, und unter diesem Wasser im schlammigen Flussbett kauerten zehn Tore, bereit, sich bei Bedarf zu heben.
    Es war ein langer Weg bis zum Fußgängertunnel in Woolwich, aber Marge hatte den ganzen Tag Zeit. Sie konnte das Kontrollgebäude der Wehranlage sehen, das sich über die Dächer am Südufer erhob. Mit dem Daumen drückte sie Tasten auf ihrem Mobiltelefon.
    Jesus Christus, war das deprimierend, dieser Teil der Stadt. Fest in ihren Mantel gewickelt, nahm sie einen Weg, der sie am City Airport vorbei und unter dem Fluss hindurchführte. Sie kontrollierte die Einzelheiten nicht mehr, die sie sich ausgedruckt hatte, die kannte sie inzwischen gut genug. Die Hinweise aus ihren Informanten herauszukitzeln war nicht einfach gewesen, aber auch nicht gar zu schwer. Sie hatte ein wenig schmeicheln und die eine oder andere List einsetzen müssen, aber das war nicht annähernd so aufwendig gewesen, wie es ihrer Ansicht nach hätte sein sollen. Soweit sie es beurteilen konnte, waren dies tatsächlich »geheime« Foren, aber viele der Forenmitglieder platzten förmlich vor Stolz über ihr geheimes Wissen. Ständig hieß es: Ich habe schon zu viel gesagt, oder: Von mir hast du das nicht.
    Von dir, du verdammter Arsch?, hatte Marge bei diesem speziellen Verleugner gedacht. Alles, was ich über dich weiß, ist, dass du dich blessedladee777 nennst. Also hör auf mit dem Scheiß und erzähl einfach, was du erzählen willst.
    Der Kultsammler hatte sie bereits im Vorfeld mit dem Begriff »Flutbruder« und dem Ort »Thames Barrier« versorgt. Von da ausgehend brauchte sie ein paar Tage, aber nicht mehr, um weitere Informationen zu beschaffen. Dieses Mal führte ihr Weg zu einem Ort, an dem gearbeitet wurde und der zugleich eine Außenstelle und die äußerlich sichtbaren Umrisse eines Glaubenssystems darstellte.
    Marge rauchte den letzten Zug von ihrer Zigarette, schüttelte den Kopf und lief ein wenig auf der Stelle, ehe sie in das Besucherzentrum der Thames Barrier stürzte. Die Frau am Empfang starrte sie erschrocken an. »Sie müssen mir helfen.« Marge zwang sich zu einem aufgeregten Gebrabbel. »Nein, hören Sie, jemand hier nennt sich Flutbruder, ja, online. Passen Sie auf, Sie müssen denen eine Nachricht weiterleiten.«
    »Ich ... ich ... was ... wie ist der Name?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich bin nicht verrückt, ich schwöre es. Bitte, es geht um Leben und Tod. Ich meine es ernst. Es muss eine Möglichkeit geben, eine Nachricht an jeden zu übermitteln, der hier arbeitet. Ich meine nicht nur das Besucherzentrum, ich meine auch die Technik. Hören Sie mir zu, ich flehe Sie an, ich flehe Sie an.« Sie packte die Hand der Frau. »Sagen Sie dem mit dem Spitznamen Flutbruder, sagen Sie ihm, da wäre eine Botschaft von Tyno Helig. Er weiß dann Bescheid. Bitte glauben Sie mir. Tyno Helig , haben Sie das?« Sie kritzelte den Namen auf einen Zettel. »Ich warte. Ich bin im Maryon Park. Bitte.«
    Marge starrte der Frau in die Augen und versuchte, sich andeutungsweise mit ihr zu verschwistern. Sie wusste nicht recht, ob es funktionierte. Schließlich rannte sie davon, bis sie die erste Ecke umrundet hatte. Dann wurde sie langsamer und schlenderte ruhig die Warspite Road hinunter und weiter über den Kreisverkehr in Richtung Park.
    Das Wetter war zu anders und zu mies, um viele Erinnerungen wachzurufen, dennoch sah sie sich um,

Weitere Kostenlose Bücher