Der Krake
die keinen Aufschub duldeten, und dass er sich auch beeilen würde und so weiter und so weiter. Sie winkten ihn einfach durch.
»Den Ausstellungssaal dürfen Sie aber nicht betreten«, sagte einer von ihnen. Okay, dachte Billy. Egal.
Er suchte nach irgendetwas, aber er hatte keine Ahnung nach was. Er verharrte vor Retorten und Spülbecken, vor Plastikbehältern mit transparent erscheinenden Fischen, deren Fleisch durch Enzyme unsichtbar gemacht worden war und deren Knochen man blau gefärbt hatte. In einem Raum lagerten stapelweise Poster für das Beagle Projekt, in dessen Verlauf jene wichtigen frühen Tage von Darwins Reisen in Form eines schwimmenden Labors rekonstruiert werden sollten, das optisch einer verkitschten Ausgabe der Beagle entsprach.
»Hey, Billy«, begrüßte ihn Sara, eine andere Kuratorin, der man aus welchem Grund auch immer den Zutritt gestattet hatte. »Hast du schon gehört?« Sie schaute sich prüfend um und senkte die Stimme, um irgendwelchen Tratsch weiterzugeben, der so unwichtig und nichtssagend war, dass er ihn sofort vergaß, kaum dass sie ihn ausgesprochen hatte. Die Legendenbildung war wie immer nicht aufzuhalten. Billy nickte, als pflichte er ihr bei, schüttelte den Kopf, als wäre das, worüber auch immer sie sprach, eine schockierende Möglichkeit.
»Hast du gehört?«, fuhr sie fort. »Dane Parnell ist verschwunden.«
Nun, das hatte er gehört. Es verursachte bei Billy ein eisiges Frösteln, wie er es am Abend zuvor verspürt hatte, als er Dane nur wenige Schritte entfernt durch das Busfenster gesehen hatte.
»Ich habe mit einem der Polizisten im Ausstellungssaal gesprochen«, sagte Sara. »Er meinte, sie hätten irgendwas gehört, seit, du weißt schon was, verschwand. Irgendein Klappern.«
»Buuh«, sagte Billy wie ein Gespenst. Sie lächelte. Aber das sind meine Halluzinationen, dachte er. Es war reiner Diebstahl. Es waren seine Fantasievorstellungen, die die Polizisten hörten.
Er meldete sich bei einem Arbeitsplatzrechner an und suchte in zahllosen verschiedenen Schreibweisen nach den Namen, die Vardy ihm genannt hatte. Eine nach der anderen strich er sie auf seinem Notizzettel durch. Schließlich gab er die Buchstabenfolgen »Kubodera« und »Mori« ein. »O Mann«, flüsterte er. Starrte auf den Bildschirm und sank nach hinten. »Natürlich.«
Kein Wunder, dass ihm die Namen bekannt vorgekommen waren. Er schämte sich fast. Kubodera und Mori waren die Forscher, die ein paar Monate zuvor als Erste den Riesenkalmar in freier Wildbahn fotografiert hatten.
Er lud sich ihren Bericht herunter. Und sah sich wieder die Bilder an. »Allererste Beobachtungen eines lebenden Riesenkalmars in freier Wildbahn« lautete der Titel des Aufsatzes, als hätten zehnjährige Schüler die Kontrolle über die Artikel der biologischen Fachzeitung Proceedings of the Royal Society B übernommen. Allererste.
Mehrere seiner Kollegen hatten Ausdrucke dieser Bilder über ihren Schreibtischen aufgehängt. Als die Bilder veröffentlicht wurden, war Billy selbst mit zwei Flaschen Cava im Büro erschienen und hatte vorgeschlagen, dass das Datum zum alljährlichen Feiertag, zum Kalmar-Tag, erklärt werden solle. Denn diese Bilder, so hatte er damals zu Leon gesagt, seien eine Sensation.
Das erste, das sie in den Nachrichten gebracht hatten, war das berühmteste. Zu sehen war in dunklem Wasser in fast einem Kilometer Tiefe ein acht Meter langer Kalmar. Seine Tentakel bildeten eine Blüte und schlangen sich von links und rechts um den Köder am Ende der perspektivisch verkürzten Schnur. Aber es war das zweite Bild, das Billy faszinierte.
Auch hier verlor sich die Schnur in der Tiefe, und auch hier schwamm das Tier im dunklen Wasser. Aber diesmal kam es mit der Mundöffnung auf den Betrachter zu. Der Kalmar bildete einen nahezu perfekten Stern: Auf dem Höhepunkt der Bewegung erfolgte der Biss. Die beiden Fangarme, längere Gliedmaßen, die am Ende zu Paddeln abgeflacht waren, lauerten nach hinten gefaltet in der Dunkelheit.
Als hätte eine Explosion die Tentakel aufgespreizt. Dieses Bild widersprach allen verharmlosenden Theorien, dass Architheutis ein schwerfälliges, auf einen günstigen Zufall lauerndes Raubtier war, dessen Tentakel in für das Tiefenwasser typischer Trägheit herabbaumelten, bis eine potenzielle Beute gegen sie stieß, dass mithin der Kalmar kaum mehr als Jäger, sondern eher als dumme Qualle anzusehen war.
Diese Vorstellung wurde von fanatischen Bewunderern des
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