Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
Vom Netzwerk:
Monster zu sein, das er in Erinnerung hatte. Natürlich war Kalle deutlich älter als Eva und ganz bestimmt nicht seine erste Wahl als Schwiegersohn, doch die Besorgnis, die er zeigte, schien aufrichtig zu sein, und die galt ganz zweifellos Eva.
    Martin Beier nahm seine Tochter in den Arm. „Es tut mir so leid, Liebes.“ Er hasste sich dafür, dass ihm in solchen Momenten nie etwas anderes einfiel als abgedroschene Phrasen. Die machten es nur noch schlimmer.
    „Bitte, Papa, du musst uns alles sagen.“
    „Ich kann dir nicht mehr sagen als vorhin am Telefon. Mehr wissen wir einfach noch nicht. Außerdem ist es nicht mein Fall. Aber Henk van Buyten hat versprochen, dass er mich auf dem Laufenden hält. Sobald sich etwas ergibt …“ Weiter kam er erst einmal nicht, denn die Bürotür wurde aufgerissen, und eine atemlose junge Frau streckte den Kopf herein.
    „Chef, das kam grade von der Spusi. Keine Fingerabdrücke drauf außer …“ Erst jetzt bemerkte sie die beiden Besucher im Raum und blickte Martin Beier so entsetzt an, als wolle sie sich augenblicklich die Zunge abbeißen. „Oh, tut mir leid.“ Kleinlaut legte sie ein Plastiktütchen auf den Schreibtisch. „Sie wollten, dass du es sofort kriegst.“
    „Schon gut, Stefanie. Vielen Dank.“
    Während die Kriminalassistentin eilig die Tür von außen schloss, versuchte Martin Beier, das Tütchen unauffällig in einer Schublade verschwinden zu lassen, doch er hatte die Rechnung ohne seine Tochter gemacht.
    „Das sieht ja aus wie … Kann ich das mal sehen?“
    „Nein, Eva. Das ist ein Beweismittel.“ Entschieden schob er die Schublade zu.
    „Das ist Lukes Handy! Verdammt noch mal, sag mir, dass es nicht seins ist!“
    „Eva …“
    „Was hat das zu bedeuten, Papa? Wo kommt auf einmal sein Handy her? Und warum wird es auf Fingerabdrücke untersucht? Und warum bringt man es dir, du bearbeitest den Fall doch gar nicht?“
    Eva sah aus, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen, und Kalle legte beruhigend den Arm um sie. Er blickte Martin Beier forschend an, sagte jedoch nichts.
    Martin Beier hatte sich während seiner langen Dienstjahre schon in so mancher unangenehmen Situation befunden. Nach den meisten sehnte er sich in diesem Moment zurück. Er zermarterte sich den Kopf darüber, was er sagen könnte, mit dem ernüchternden Ergebnis, dass es nichts zu sagen gab. „Schatz, das ist eine laufende Ermittlung. Selbst wenn ich könnte – ich dürfte dir nichts sagen. Aber die Wahrheit ist, dass ich selbst noch nichts weiß.“
    Auf Evas kreidebleichen Wangen zeigte sich ein Schimmer von Rot, und sie sprang auf. „Wahrheit? Was für eine Wahrheit? Deine Wahrheit? Wann hast du dich zuletzt für meine Wahrheit interessiert?“
    Sie gab ihm keine Chance zu einer Entgegnung. Noch bevor er Luft holen konnte, war sie bereits aus dem Zimmer gerannt. Er hielt es für keine gute Idee ihr nachzurennen, daher blieb er sitzen und blickte in die Augen seines Gegenübers, der erstaunlicherweise völlig ruhig und gelassen geblieben war. Nun stand Mikael Andersson auf und zog eine Visitenkarte aus der Jackentasche.
    „Wenn Sie mal eine Information brauchen, rufen Sie mich an. Ich kenne ziemlich viele Leute.“
    In der Tür drehte er sich noch einmal um. „Ich meine das ernst.“

22
    Es war gegen sieben Uhr am Montagmorgen, als Thomas Lamprecht alle medizinischen Prognosen Lügen strafte und die Augen öffnete. Judith war bei ihm.
    Etwa zur selben Zeit telefonierte Martin Beier mit Gustav Elvert.
    Eva hatte ein Beruhigungsmittel geschluckt und war endlich in Kalles Armen eingeschlafen.
    Ralf saß vor seinem MacBook und quälte sich mit einem Artikel für den
Chronos
herum, eine halbe Stunde zuvor hatte er ein interessantes Gespräch mit Nadine Friedmann gehabt. Irgendwann unterbrach er seine Arbeit und loggte sich bei international-seagull.net ein.
    Lukas lag in seinem Bett mit Meerblick auf Fernando Poo, starrte auf den funkelnden karibischen Sternenhimmel hinaus und dachte an Gustav Elvert.
    Karl-Heinz Emmerich hatte das ganze Wochenende in seinem Appartement in Gablenberg am Fenster gesessen, nach Wangen hinübergestarrt und gegrübelt. Nicht einmal zu seinem üblichen Sonntagvormittagsspaziergang über den nahen Trimm-Dich-Pfad hatte er sich aufraffen können. Nachts war er unfähig, das Licht zu löschen, weil ihn Thomas Lamprechts blutüberströmtes Gesicht verfolgte und nicht zur Ruhe kommen ließ. Er hatte sich so viel Asthmaspray in die Lungen gepumpt,

Weitere Kostenlose Bücher