Der kranke Gesunde
wird, gereizt wird – z. B. durch eine anhaltende Entzündung – desto mehr entwickelt er ein »Eigenleben«, ein sogenanntes Schmerzgedächtnis. Wir können dies vergleichen mit einem Pfad in einem Kornfeld, wenn nur ein Mensch das Kornfeld betritt, ist dies kaum zu erkennen, wenn mehrere Menschen hindurchgegangen sind, ist er breitgetrampelt. Das heißt, je häufiger ein Schmerz auftritt, desto leichter und stärker werden seine Signale an das Gehirn weitergeleitet. Des Weiteren wird der Bereich des Gehirns zunehmend empfindlicher für Schmerzreize. Er reagiert schon bei relativ geringen Reizen (bei Rückenschmerzpatienten manchmal schon beim Berühren der Rückenhaut). Wir können dies mit dem hochgestellten Thermostat einer Heizung vergleichen: Schon bei relativ hohen Temperaturen (entspricht niedrigen Schmerzreizen) springt die Heizung an. (Haben wir uns einmal im Leben eine Erfrierung z. B. einer Großzehe zugezogen, wird sie in Zukunft schon bei geringfügigen Kältereizen mit Schmerz reagieren.)
Das Schmerzgedächtnis kann über viele Jahre stumm bleiben. Menschen, die in ihrer Kindheit geschlagen wurden oder Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, erleben bei erneuter Belastung der damals geschädigten Bereiche wesentlich heftigere Schmerzen als Menschen ohne diese Erfahrung. Bauchschmerzen können nach einer organisch vollständig ausgeheilten bakteriellen Darmentzündung häufiger auftreten als vorher. Eine natürliche Anspannung der Darmwand, die vor der Entzündung gar nicht bemerkt wurde, wird danach als Spannungsgefühl an das Gehirn weitergeleitet. Hier entwickelt sich das Schmerzgedächtnis auf der Ebene des Rückenmarks.
Wie kann man das Schmerzerleben beeinflussen?
Je stärker der zentrale (Gehirn-)Anteil am Schmerz beteiligt ist, desto weniger lässt er sich durch eine Behandlung am Schmerzort beeinflussen. Viele Behandlungen verlaufen für die Patienten deshalb so enttäuschend. Diese Art von Schmerz kann aber durch Eingriffe in den Gehirnstoffwechsel beeinflusst werden, sowohl durch Psychotherapie als auch durch Psychopharmaka (Arzneimittel, die auf den Gehirnstoffwechsel Einfluss nehmen). Beide Methoden haben unter anderem Einfluss auf das schmerzhemmende Zentrum, das über absteigende Bahnen den Prozess der Überempfindlichkeit, z. B. beim Bauchschmerz, wieder rückgängig machen kann.
Schmerzmittel sind nur kurzfristig sinnvoll
Dass Schmerzen medikamentös zu beeinflussen sind, brauchen wir hier sicher nicht näher zu erläutern. Ein Schmerzmittel ist oft der erste und auch sinnvolle Schritt zur Linderung schmerzhaften Leidens. Allerdings gilt dies vor allem bei der Behandlung akuter Schmerzen. Bei chronischen Schmerzen ist die Wirkung häufig enttäuschend. Erstens gewöhnt sich der Körper an das Schmerzmittel, sodass immer höhere Dosierungen erforderlich sind, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Zweitens kann der paradoxe Effekt auftreten, dass das Schmerzmittel selbst Schmerzen verursacht. Die Schmerzmittel vergiften den Körper und bewirken vor allem im Gehirn einen sehr unangenehmen diffusen Kopfschmerz, der nach Verzicht auf die Schmerzmittel auch wieder vergeht.
Auf die Vielzahl verschiedenster nichtmedikamentöser Möglichkeiten, Schmerz zu beeinflussen, können wir hier nur hinweisen: Sie reichen von der Wärmflasche bei Bauchschmerzen über die Behandlung mit Kälte (Eis) oder Hitze, bis hin zu Akupunktur und Bewegung in warmem Wasser.
Der Schmerz wird im Rückenmark (vor)verarbeitet. Wie dieses Schmerztor funktioniert und wie man es beeinflussen kann, steht im Text.
Wie wird das Schmerztor geöffnet und geschlossen?
Von chronischen Schmerzen Gequälte seien aber nochmals auf den Mechanismus in unserem Körper aufmerksam gemacht, über den wir durch unser eigenes Verhalten die Schmerzintensität beeinflussen können. Die auf → S. 60 erwähnte Informationssammelstelle im Bereich des Rückenmarks und des Gehirns können wir uns nämlich als eine Art Tor vorstellen, durch das alle Schmerzreize vor ihrer Weiterleitung zum bewussten Erleben hindurch müssen – deshalb spricht man auch anschaulich vom »Schmerztor«.
Dieses Schmerztor kann durch verschiedene Einflüsse geöffnet oder geschlossen werden. In der Abb. entspricht diesem Prozess die Ausschüttung von Endorphin. Es kann, wie im Bild dargestellt, die Weiterleitung der Schmerzerregung (über die Substanz P ) von einem Nerv auf den anderen »modulieren«, d. h. fördern oder hemmen. Wie weit das Schmerztor
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