Der kranke Gesunde
ständig verspannt. Aber erst bei Überschreiten einer bestimmten, von Mensch zu Mensch unterschiedlichen »kritischen Schwelle« merkt der Betroffene dies in Form von Schmerzen. Der Anlass für einen solchen Schwellenübertritt kann ganz banal sein, z. B. eine ungeschickte Bewegung, eine Überanstrengung der Augen oder das »Zucken« bei einem kleinen Schreck. Ursache kann manchmal auch eine ungewohnte Überlastung im Bereich meines Nackens sein, z. B. wenn man mich beim Streichen einer Zimmerdecke ständig zurückgebeugt hat.
Betroffen sind vor allem meine am Nacken ansetzenden Muskeln sowie meine Stirnmuskeln, in deren Bereich auch die stärksten Beschwerden auftreten. Man spürt sie meistens in Form eines lang anhaltenden, drückend-bohrenden Schmerzes. Werde ich dort berührt oder gedrückt, nimmt der Schmerz zu. Meine gesamte Schulter-Nacken-Partie kann sich dann schmerzhaft verspannen. Als Folge wiederum hält mich der Betroffene zur Schonung steif; so entsteht ein Teufelskreis aus Schmerz und Anspannung.
Tipp
Stimmung und Lebensstil beeinflussen die Kopfschmerzneigung
Wie stark sich meine Muskeln verspannen, hängt in hohem Maße von Befehlen ab, die ihnen das Gehirn (bewusst oder unbewusst) erteilt. Diese erreichen Muskeln oder Gefäße vor allem über das Nervensystem, aber auch über hormonelle Botenstoffe. Da sich Stimmung, Gefühle, Gedanken und Lebensstil in der Aktivierung von Nervensystemen und in der Aussendung von Botenstoffen niederschlagen, tragen sie wesentlich zur Verstärkung oder Linderung der Schmerzen bei.
Migräne
Mit »Migräne « ist ein ganz bestimmtes Beschwerdebild aus meinem Bereich gemeint, über dessen Ursachen man sich heute wieder streitet. Sicher spielen überschießende Erregungsvorgänge im Mittelhirn und zahlreichen Blutgefäßen eine entscheidende Rolle.
Anders als beim Spannungskopfschmerz zeige ich »Migräneschmerzen« in Form von Anfällen (Stunden bis Tage). Sie sind gewöhnlich einseitig, für Betroffene oft verbunden mit Appetitlosigkeit, manchmal auch mit Übelkeit und Erbrechen. In den Stunden vor dem Auftritt einer Migräne ist der Betroffene oft verstärkt unruhig, manchmal depressiv, gelegentlich auch voll euphorisch-gesteigerter Leistungsbereitschaft. Bei manchen Formen entwickle ich vor dem Schmerzanfall auch ausgeprägte Sehstörungen, Sprachstörungen und selten sogar Lähmungen; man nennt dies »Aura «. Die Schmerzen selbst werden vom Patienten als hämmernd und pochend erlebt; er ist dabei oft besonders licht- und geräuschempfindlich.
Bei der Beschreibung der Symptome habe ich schon unterschieden zwischen den Phasen vor und während der Schmerzen. Dies entspricht nach Meinung vieler Forscher auch unterschiedlichen Phasen meiner Durchblutung.
Die Schmerzen hängen mit der Gefäßverengung und erweiterung zusammen
Vor den Schmerzen verengen sich meine Arterien einschließlich der Halsschlagader manchmal so stark, dass einige meiner Gehirnregionen unzureichend mit Blut versorgt sind. Dadurch entstehen die oben genannten Ausfallserscheinungen. Mit einer erhöhten Spannung reagieren meine Gefäße vor allem auf eine Übererregung des sympathischen Nervensystems (was sich oft auch in einer leicht erhöhten Pulsrate sowie in kalten Händen und Füßen äußert). Gefäßverengend wirkt in dieser Phase auch der Anstieg einer wichtigen Substanz in mir: das Serotonin.
Nach einer länger anhaltenden Gefäßverengung lasse ich automatisch, gleichsam als Gegenreaktion, meine Gefäße erschlaffen, wodurch sie sich erweitern und dehnen. Das tue ich vor allem bei den großen Gefäßen. Da aber die kleinen Gefäße unverändert eng bleiben, werden die großen überdehnt. Dies bewirkt den so unangenehm hämmernden Kopfschmerz. Der körperliche Ablauf meines Schmerzgeschehens bei Migräne ist der Spiegel des »seelischen Ablaufs« bei Doris & Co. Diese Schmerzen haben sie meist in Phasen von Entspannung und Ruhe, z. B. in der Zeit zwischen 3.00 und 4.00 Uhr morgens oder an Wochenenden und vor allem dann, wenn sie sich die Tage zuvor besonders angestrengt haben (Sympathikusaktivität hoch!). Doris hat also ausgerechnet dann Schmerzen, wenn sie Zeit und Gelegenheit hat, sich zu entspannen. Entscheidend ist aber, dass die Schmerzen in dieser Ruhephase auf der Ebene meiner Gefäße eine zeitlich verschobene Gegenreaktion zur vorausgehenden Anspannung darstellen. So machtlos Doris in dieser Phase ist – in der Zeit zuvor hätte sie eher Einflussmöglichkeiten.
Dass ich
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