Der Krater
reckte sich der Trümmerstrahl immer weiter ins All und krümmte sich dann durch die Schwerkraft des Mondes zu einer weiten Kurve.
Dies war eine überzeugende Bestätigung dafür, dass Abbey recht hatte: Das außerirdische Artefakt auf Deimos war eine Waffe, und sie hatte soeben wieder gefeuert, diesmal auf den Mond. Aber warum? Als Demonstration ihrer Macht?
Es hatte keinen Zweck, gaffend am Straßenrand herumzustehen, sagte sich Ford. Er musste ein Flugzeug erwischen. Er stieg wieder ins Auto, schaltete das Radio an und stellte den Lokalsender NPR ein. Die donnernden Klänge von Bachs Passacaglia und Fuge in c-Moll drangen aus den Lautsprechern, doch schon unterbrach ein Nachrichtensprecher das laufende Programm mit einer Eilmeldung zu »dem außergewöhnlichen Phänomen, das sich auf dem Mond abspielt«.
»Wir konnten Elaine Dahlquist erreichen«, verkündete der Radiomoderator, »Astronomin am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. Dr. Dahlquist, können Sie uns sagen, was wir dort oben sehen?«
»Also, Joe, meine erste Mutmaßung wäre die, dass der Mond von einem größeren Asteroiden getroffen wurde, möglicherweise von zwei Fragmenten auf einmal, die beinahe gleichzeitig zu beiden Seiten eingeschlagen sind.«
»Warum hat das niemand vorhergesehen?«
»Gute Frage. Offensichtlich haben wir es mit einem Asteroiden zu tun, der der Aufmerksamkeit von Spacewatch und anderen Programmen entgangen ist, die nach erdnahen Asteroiden Ausschau halten. Hier am Harvard-Smithsonian haben wir alle unsere Teleskope auf den Mond gerichtet, und soweit ich weiß, gilt das auch für das Keck Observatory und das Hubble-Weltraumteleskop – sowie Tausende weiterer Teleskope von Amateuren und Profis da draußen.«
»Besteht für uns auf der Erde irgendeine Gefahr?«, fragte der Moderator.
»Es gibt Berichte über einen elektromagnetischen Impuls oder einen Schauer geladener Teilchen, die vereinzelt Stromausfälle und Probleme in Computernetzwerken verursachen können. Abgesehen davon würde ich sagen, dass wir hier auf der Erde sicher sind. Der Mond ist fast vierhunderttausend Kilometer von uns entfernt.«
Ford schaltete das Radio aus. Während er weiter die Interstate entlangfuhr, wurde das Licht am Himmel immer heller, langsam, aber stetig, während sich die Trümmerwolke ausbreitete. Sie war gelblich und nahm an den Rändern rötliche Farbtöne an – heißes, kondensierendes Material, das durch den Schuss hochgeschleudert worden war. Doch das Schauspiel würde bald vorüber sein. Die lockere Bewölkung war einer schwarzen Gewitterfront gewichen, die dräuend am Horizont hing und in der Blitze zuckten.
Er sah auf die Uhr: Er war eine halbe Stunde vom Flughafen Portland entfernt. Wenn er den Flug um Mitternacht erwischte, würde er um zwei oder drei Uhr früh in Washington D.C. ankommen.
Aber vorher musste er ein kleines Manöver ins Rollen bringen.
71
D
ie Sonne geht nie auf in einem Casino in Las Vegas und im Situation Room im Weißen Haus
, dachte Lockwood, als er dem Offizier in den fensterlosen, kokonartigen Besprechungsraum folgte, in dem sich bereits die Leute drängten. Lockwood erkannte den nationalen Sicherheitsberater, der ihn stets an ein Wiesel erinnerte, am Kopf des Konferenztischs – Clifford Manfreds italienischer Anzug und die Thomas-Pink-Krawatte waren vielleicht eine Spur zu modisch für Washington.
Neben ihm saßen der Director of National Intelligence, ein grauer Mann im grauen Anzug mit wachen grauen Augen, mehrere unauffällige politische und geheimdienstliche Analysten und ein Kommunikationsspezialist. Ein riesiger Flachbildschirm am anderen Ende des Tisches war in zahlreiche Einzelbilder aufgeteilt, eines davon zeigte Livebilder vom Mond – aus dem nun zwei leuchtende Strahlen hervorschossen. Auf den anderen liefen stumm die amerikanischen und internationalen Nachrichtensender. Auf weiteren Bildschirmen an den Wänden waren Leute zu sehen, die per Videokonferenz zugeschaltet waren, darunter der Vorsitzende der Stabschefs, ein kleiner, präziser Mann mit schneeweißem Haar in Admiralsuniform.
Lockwood nahm in einem der mächtigen schwarzen Ledersessel Platz. Er war von leisem Stimmengewirr umgeben, Löffel klirrten in Tassen, als Kaffee serviert wurde. Alle warteten auf die Ankunft des Präsidenten.
Ein paar Minuten später wurde es plötzlich, beinahe intuitiv, still im Raum, und die Tür ging auf. Ein Offizier vom Dienst erschien, gefolgt vom Stabschef des Präsidenten und dann dem
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