Der Krater
los, die sie klappern hörten. Das Licht schwenkte erneut über die Köpfe der Felsen, unter denen sie steckten, und suchte auch beide Seiten ab. Abbey spürte, wie die Flut ihr zwischen die Füße kroch. Wie schnell stieg das Wasser? Um etwa einen Zentimeter pro Minute, bei Vollmond noch mehr.
Als er näher kam, zog sie den Kopf unter dem Seetang ein. Sie spürte das zischelnde Wasser, das nun um ihre Füße wirbelte und mit der sachten Dünung anstieg und wieder sank. Nun war der Mann so nahe, dass sie ihn atmen hörte.
Wieder, diesmal sehr sorgfältig, suchte der gelbe Lichtstrahl die Felsen ab. Er glitt quälend langsam an ihnen vorbei. Einmal. Zweimal. Dann hörten sie ein Brummen, und er bewegte sich wieder von ihnen weg. Der Lichtschein huschte über das Gewirr von Felsen rechts von ihnen und dann weiter das Ufer entlang.
Das Wasser kroch über ihre Knöchel hinaus, bewegte den Tang und sank wieder davon. Die Dunkelheit kehrte zurück. Abbey wartete eine Minute und noch eine, ehe sie einen Blick riskierte. Sie sah ihn vorsichtig am Ufer entlanggehen, schon ein paar hundert Meter weiter. Er schwenkte den Lichtstrahl hin und her und ging auf ihr Beiboot zu.
»Wir müssen von dieser Insel runter«, flüsterte Abbey.
»Wie zum Teufel sollen wir das machen, wenn unser Boot offen da draußen am Strand liegt?«
»Wir nehmen seines.«
Jackie zitterte. Abbey legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Bleib du hier. Rück mit der Flut immer ein Stück nach oben. Ich stehle sein Boot, hole unseres und komme zu dir. Ich rudere so nah ans Ufer heran, wie es geht. Wenn du mich kommen hörst, schwimmst du los. Die Strömung wird dir helfen.«
»Okay«, flüsterte Jackie.
Plötzlich bemerkte Abbey ein Blitzen am Himmel, ein unvermitteltes Aufleuchten. Einen Moment lang glaubte sie, der Killer hätte sie gefunden und plötzlich seine Taschenlampe eingeschaltet.
»Scheiße!«, entfuhr es Jackie, duckte sich instinktiv und schützte den Kopf mit den Armen.
Abbey streckte den Kopf aus ihrem Versteck und starrte zum Mond hinauf. »O Gott, sieh dir das an! Jackie!«
Ein gewaltiger Feuerball blühte auf einer Seite des Mondes auf, ein Strahl aus leuchtendem Staub schoss auf der gegenüberliegenden Seite hervor, streckte sich wie in Zeitlupe immer länger und wurde so hell, dass Abbey die Augen schließen musste. Es war seltsam, ein merkwürdiges, spektakuläres, wunderschönes Schauspiel, als sei der Mond aufgeplatzt und hätte eine Reihe glitzernder Edelsteine ausgespien, die von innen heraus leuchteten.
Auch der Feuerball auf der anderen Seite des Mondes dehnte sich aus und wechselte die Farbe, von strahlend kaltem Blau in der Mitte zu einem grünlichen Gelb, und dann zu Orange- und Rottönen an den Rändern, die sich wie ein Tortenstück aus der Oberfläche des Mondes ins All reckten.
»Was ist …?« Jackie starrte mit aufgerissenen Augen nach oben.
Das Licht wurde immer heller und tauchte die Inseln, die dunklen Fichten, die Felsen und das Meer in ein grünliches Gelb, eine falsche, scheußliche Farbe. Der Horizont war plötzlich rasiermesserscharf zu erkennen, der Himmel darüber tiefviolett, der Ozean blassgrün mit schwarzen und roten Flecken.
Abbey hob den Blick wieder zum Mond und kniff gegen das grelle Licht die Augen zusammen. Nun entwickelte sich eine Art Halo um die Scheibe, als hätte jemand den Mond geschüttelt und damit Staub aufgewirbelt. Eine gewaltige Stille breitete sich über das Meer und die Inseln, und das Spektakel spielte sich vollkommen lautlos ab, wodurch es nur noch surrealer wirkte.
»Abbey!«, stieß Jackie leise und panisch hervor. »Was ist das? Was passiert da?«
»Ich glaube«, sagte Abbey langsam, »dass die Waffe auf Deimos gerade dem Mond eine Ladung verpasst hat – diesmal eine sehr viel größere.«
69
H arry Burr ging den Kiesstrand entlang, die halbautomatische Waffe in der einen Hand, in der anderen die Taschenlampe, mit der er zwischen die Bäume und Felsen leuchtete. Er versuchte, irgendwo flüchtende Gestalten auszumachen, ein Gesicht zwischen den Bäumen schimmern zu sehen, irgendetwas. Er wusste, dass sie auf der Insel waren – ihr Boot lag auf dem Strand, und auf dem Herd waren Hamburger verbrannt. Er war außerdem ziemlich sicher, dass Ford keine Schusswaffe bei sich trug – sonst hätte er sie schon in der Bar oder auf dem Parkplatz benutzt. Er war also der Einzige hier, der eine Waffe hatte.
Er fluchte leise. Irgendwie hatten sie doch Wind davon
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