Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Behördenrecht auch einmal einen Kandidaten abzulehnen (was praktisch nie geschah). Über allem schwebte eine dunkle pomadisierte Haarkappe, gewissermaßen die leichtere Variante des fronterprobten Tommy-Helms.
»Guten Morgen.« Die vorgesetzte Stelle hatte den Rekrutierungsbeamten Höflichkeit auferlegt.
»Guten Morgen, Sir«, erwiderte David.
»Sie wünschen bitte?«
David zeigte dem Mann seine Schwerter und sagte: »Ich möchte gerne in den Krieg.«
Das Faltengebirge auf des Beamten Stirn brachte neue Verwerfungen hervor. Nicht unfreundlich, gleichwohl unüberhörbar belehrend, entgegnete er: »Der Krieg ist kein Ort, junger Mann, den man einfach besucht oder verlässt, wie es einem beliebt. Ich würde ihn eher als einen Zustand beschreiben, der zwar eine gewisse räumliche Ausdehnung besitzt, aber dennoch…«
»Wenn es Ihnen nicht allzu viel ausmachen würde, Sir«, unterbrach David den kleinen Wichtigtuer, »dann möchte ich mich gerne in den Einflussbereich dieses Zustandes begeben.«
Einen Moment lang wollte Unwilligkeit das Gesicht des Beamten überschwemmen, scheiterte dann aber an der Barriere des Zwirbelbarts. Mit einem gekünstelten Lächeln zog der Rekrutenfänger ein leeres Formular von dem großen Stoß zu seiner Rechten. Auf der anderen Seite des Schreibtisches sah ein zweiter Stapel aus schon beschrifteten Formblättern seiner baldigen Verwertung entgegen. Zwischen den beiden Papierhaufen lungerte noch ein Tintenfass mit einer Schreibfeder herum.
Nachdem das Formular exakt zur Tischkante ausgerichtet worden war, konfrontierte der Beamte seinen Bewerber mit einem Fragenkatalog, den er vermutlich schon eine Million Mal heruntergeleiert hatte.
»Name?«
»David…« Er stockte. Jetzt nur kein falsches Wort. »Milton. Notieren Sie bitte den Namen David Milton.«
Der Beamte runzelte wieder die Stirn. »Sie meinen, wie John Milton, der Dichter?«
David antwortete mit einem entschiedenen Nicken. »Wie der, von dem Das verlorene Paradies stammt.« Wieder eine von diesen spontanen Assoziationen. Er hatte die Hoffnung aufgegeben den Garten Eden seiner Kindheit jemals wieder zu finden.
»Sind Sie etwa mit ihm verwandt?«
»Wenn, dann ist es höchstens eine geistige Verwandtschaft.«
Das war dem Beamten zu hoch. Er entriss seinen Federkiel dem Maul des Tintenfasses und notierte den Namen.
»Geburt?«
»Ja.«
Der Federkiel landete wieder im Fass und der Beamte seufzte. »Junger Mann, so geht das nicht. Sie müssen mir nicht nur kurz, sondern auch präzise antworten. Anders läuft beim Militär gar nichts.«
David hatte nur Zeit gewinnen wollen. Inzwischen war es ihm wieder eingefallen: Das im Mai in Kraft tretende Wehrdienstgesetz gestattete nur Achtzehn- bis Einundvierzigjährigen den Tod im Schützengraben. Vermutlich galten für Freiwillige dieselben strengen Regeln. Er war für sein Alter sehr groß. Bestimmt würde es nicht auffallen, wenn er sich um zwei Jahre älter machte.
»1. Januar 1898«, antwortete er forsch.
»Na, das ist doch schon viel besser«, freute sich der Beamte und angelte sich wieder die Schreibfeder.
David ließ geduldig alle Fragen über sich ergehen. An einigen Stellen musste er die Wahrheit etwas anreichern, um den Formularausfüller bei Laune zu halten. Anschließend versorgte der gewissenhafte Mann seinen Bewerber mit einem Merkblatt und allen nötigen Informationen zu den weiteren Schritten des Rekrutendaseins: Vorstellung beim Arzt, Uhrzeit und Treffpunkt an der Sammelstelle, Verbringung ins Ausbildungslager et cetera, et cetera.
Nachdem er sich bei der Unterschrift beinahe selbst verraten hätte, musste nur noch eine Hürde genommen werden.
»Warum kann ich die Schwerter nicht mitnehmen?«
»Sie werden mit allem ausgestattet, was zur Niederwerfung des Feindes nötig ist. Die Einbringung eigener Waffen ist vom Kriegsministerium nicht vorgesehen.«
»Aber diese Schwerter bedeuten mir sehr viel. Sie werden in ganz London kaum jemanden finden, der besser damit umgehen kann als ich.«
Der Beamte stopfte seine Feder ins Fass zurück, gönnte sich bei geschlossenen Augen einen Moment der Besinnung, um daraufhin sehr beherrscht anzumerken: »Da, wo Sie hingehen, werden Ihnen diese Schwerter nicht sehr viel nützen.«
David spürte in den Tiefen seiner Eingeweide ein gefährliches Brodeln. Es war doch immer wieder dasselbe. Sobald ein Mensch nur eine Spur von Macht zu haben glaubte, weidete er sich daran, seine Mitmenschen zu drangsalieren. Um die Diskussion
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