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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Gesicht.
    Der stand stramm, wie er es gerade eben erst gelernt hatte, und schrie zurück: »Weil ich gerne sterben will, Sir!«
    »Das ist aber nicht gut für die Kampfkraft der Truppe, Milton!«
    »Ich möchte gerne mein Leben für König und Vaterland einsetzen, Sir!«, präzisierte David, im Stillen hoffend, dadurch besser den Geschmack des Ausbilders zu treffen.
    »Hört, hört. Das klingt nach einem angehenden Kriegshelden. Wollen sehen, ob Sie auch das nötige Zeug dafür haben, Milton.«
    »Gebe mein Bestes, Sir.«
    »Das tun wir hier alle. Wer weniger gibt, ist tot.«
    Während der Spieß sich zur Beschallung des nächsten Rekruten begab, atmete David innerlich auf. Genau deshalb nahm er ja überhaupt diesen Drill auf sich: um zu sterben. Im Grunde war ihm alles egal. Aber um sein Ziel zu erreichen, sollte er seine Absicht besser doch nicht gleich jedem auf die Nase binden.
    Dabei beließ er es für die nächsten Wochen. Selbst Nick enthielt er den wahren Grund seines Eintritts in die Army vor. Manchmal fühlte sich David schäbig, weil er seinem Freund nicht reinen Wein einschenkte, aber wenn Nick die Wahrheit wüsste, würde er ihm keine ruhige Minute mehr lassen.
    Zunächst wurden den Rekruten die Haare gestutzt. David bestand auf einer Totalbehandlung. In der Anonymität seiner Kahlköpfigkeit war er nicht so leicht als jener David Camden zu identifizieren, der vielleicht schon überall gesucht wurde. Nun machte sich der harte Drill von Pater Bucklemaker von der Westminster School bezahlt. Was David und Nick während der Manöver im Richmond Park gelernt hatten, fiel bald auch Sergeant Fox auf. Er war so angetan von den beiden jungen Patrioten, dass er sie für eine Spezialausbildung empfahl.
    So kam es, dass David und Nicolas erst am 4. Juni 1916 in Portsmouth den ehemaligen Passagierdampfer bestiegen, der jetzt Soldaten zur Front transportierte. Bei ihnen waren noch etwa eintausend andere Gefreite, viele von ihnen nicht freiwillig. Das neue Wehrdienstgesetz, erst seit Mai in Kraft, hatte sie aus ihrer Kriegsunlust geweckt und ihnen ein vom Staat finanziertes Programm zur körperlichen Ertüchtigung im Ausland verordnet. David zweifelte im Stillen an der Kampfkraft einer Truppe, der auf diese Weise der Patriotismus von oben verordnet wurde, aber vielleicht lag das ja nur an seinem gestörten Verhältnis gegenüber jeglichen Erlassen dieser Art.
    Noch am Tag ihrer Abreise hatte er einen kurzen Brief an William H. Rifkind geschickt. Der Anwalt möge es ihm nachsehen, dass er sich erst jetzt melde, aber hätte er es früher getan, wäre Sir William womöglich väterlichen Instinkten erlegen und hätte versucht David von seinem Entschluss abzuhalten. Er, David, wolle sich nun seinen eigenen Weg suchen. Vielleicht werde dieser jäh auf einem fernen Schlachtfeld enden, doch das sei immer noch besser, als sich jahrzehntelang mit der Nutzlosigkeit des eigenen Seins herumzuplagen. Abschließend bat David den Anwalt noch einmal, sich um das Personal von Camden Hall zu kümmern. Bei seinen Beziehungen werde er schon eine Möglichkeit finden den Menschen zu einer neuen Anstellung zu verhelfen. Er danke ihm für alles, was er so viele Jahre lang für die Camdens getan habe. »Leben Sie wohl, Sir William. Sie waren meiner Familie immer ein treuer Freund«, endete der Brief.
    Vermutlich würde sich Sir William trotzdem nicht mit Davids Entscheidung abfinden. Aber selbst wenn er seine guten Kontakte spielen ließ, um den jungen Mann zu suchen, würde man in den Rekrutierungslisten der Armee keinen Viscount of Camden finden. Davids gab es in der Royal Army wie Sand am Meer. Wer konnte schon ahnen, dass der einfache Schütze Milton ein Mitglied des englischen Hochadels war?

 
    Lebenslinien und Todesängste
     
     
     
    Die Seereise endete im französischen Cherbourg. Obwohl sie nur knapp fünf Stunden dauerte, konfrontierte sie doch den einen oder anderen Rekruten mit der überraschenden Erfahrung, dass Krieg und körperliches Unbehagen einander ergänzende Größen waren. Von nun an sollte es mannigfache Bestätigungen dieses Prinzips geben. Der Seekrankheit folgte die Irritation durch die kontinentalen Maßeinheiten. Der britische Inselbewohner war es gewohnt, die Welt in Meilen, Pfunden und Gallonen aufzuteilen. Dagegen setzten die Franzosen ihren Urmeter und das Urkilogramm, welche sie in Sevres bei Paris wie den heiligen Gral hüteten. Erst beim Marschieren stellte sich hier und da die Erleuchtung ein, dass zwanzig

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