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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Glastür. Durch das in viele viereckige Flächen unterteilte Fenster konnte man auf den Park des Landsitzes blicken. Das warme Licht des Nachmittags flutete ungehindert in den Raum. Ja, da befand sich ein gezeichneter Kreis auf dem bräunlichen Papier, trotz des ungünstigen Betrachtungswinkels war sich Jeff jetzt ganz sicher. Die schweren Siegelringe reihten sich auf der dunklen Linie aneinander wie die Stundenmarkierungen eines Ziffernblatts. Oder wie die Stühle an der runden Tafel im Wappensaal.
    Negromanus’ schneidende Stimme beendete das Schweigen im Zimmer.
    »Ihr wisst, dass unser Herr nur durch mich zum Personal redet. Wenn ich irgendwelche Anweisungen gebe, ist das für euch genauso, als hätte Lord Belial persönlich sie ausgesprochen. Ich werde mir zu gegebener Zeit eine Bestrafung für den Küchenchef einfallen lassen. Lasst Euch dies eine Lehre sein, Joseph. Es war jedoch gut, dass Ihr mir von dem eigenmächtigen Handeln Rodaris berichtet habt. Und nun schnell: Schickt jemanden dem Jungen hinterher, um ihn wieder zurückzuholen.«
    Vor Schreck vergaß Jeff ganz zu atmen. Sein Glück hatte sich an diesem Tag schon so oft gewendet, dass er für einen Augenblick ganz durcheinander war. Wenn der Herr über Messer und Gabeln ihn hier vor der Tür erwischte, dann konnte er die gerade zurückgewonnene Anstellung gleich wieder verlieren. Erfreulicherweise schien der Bedienstete noch aus irgendeinem Grund zu zögern, denn aus der offenen Tür klang die ungeduldige Frage seines Vorgesetzten.
    »Was ist denn noch, Joseph?«
    Jeff schlich sich auf Zehenspitzen davon. Das Letzte, was er verstand, waren die Worte: »Ich bin es gewohnt, mit geschultem Personal zu arbeiten. Unser Herr ist sehr streng…«
    Ungesehen hatte Jeff die Eingangshalle erreicht. Erst jetzt fiel sein Atem wieder in den gewohnten Rhythmus zurück. Er blickte durch die Fenster im Hauptportal auf den Kiesplatz hinaus und entdeckte Dorothy, die gerade von den Ställen herüberkam; sie schien hier so eine Art Botengängerin zwischen den Kutschern der Gäste und dem Befehlshaber der Küche zu sein.
    Ohne lange nachzudenken, öffnete Jeff die Tür etwa zwei Handspannen weit und ließ sie sogleich wieder geräuschvoll ins Schloss zurückfallen. Dann wandte er sich mit betont festem Schritt dem nördlichen Seitenflügel zu. Als er in diesen einbog, traf er auch schon auf den Bediensteten mit der Messlatte.
    »Wer bist du? Ich habe dich hier noch nie gesehen«, fragte der streng, doch zugleich auch mit einem erwartungsvollen Unterton.
    »Mein Name ist Jeff Fenton. Bloomberry meinte, Sir Negromanus habe vielleicht eine Arbeit für mich. In der Küche wollen sie nur Mädchen haben.«
    Das runde Gesicht des Mannes erhellte sich. »Dich schickt der Himmel, Junge!«
    Im Augenblick maß Jeff dieser Äußerung keine besondere Bedeutung bei. Das sollte sich erst später ändern. Jetzt war er einfach nur zufrieden, wie er den festgefahrenen Karren dieses verflixten Tages doch noch aus dem Dreck gezogen hatte. Der Florin war nun wieder in greifbare Nähe gerückt.
    Joseph Frederick Dudley – so hieß der Oberste der Servierpagen mit vollständigem Namen – verpasste Jeff nun eine blaue Livree und anschließend einen Schnellkursus in hochherrschaftlicher Servierkunst. Dabei beschränkte er sich auf das Wesentliche und bläute dem Jungen wiederholt ein, er solle nachher im großen Wappensaal die anderen Diener aufmerksam beobachten und ihrem Beispiel folgen. Besser einen Moment zu spät servieren als falsch.
    Das Wichtigste aber – Dudley erwähnte das fast so oft wie Double-O seinen Tenno – sei die Tagesorder des Lords: Vor und nach dem Dinner habe sich niemand von der Dienerschaft im Hauptgebäude aufzuhalten. Und wenn er, Dudley, niemand sage, dann meine er auch niemand.
    Jeff nickte ergeben, hätte aber doch zu gern gewusst, was denn so geheim an dieser Zusammenkunft sein könne, dass man daraus eine derartige Staatsaktion machte. Vielleicht war an der Freimaurer-Theorie ja doch etwas dran. Er hatte darüber schon einiges gelesen. Angeblich gab es wirklich Geheimlogen, die sich mit allerlei abscheulichen Bräuchen die Zeit vertrieben.

 
    Die Verschwörung
     
     
     
    The Weald House besaß auf dem Dach seines Mittelgebäudes einen kleinen Uhrenturm. Gerade hatte die Glocke sechs geschlagen. Die Sitzung des Lords und seiner elf Gäste musste also in diesen Minuten begonnen haben. Dudley hatte noch einmal unmissverständlich das Verbot wiederholt, den

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