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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Hauptbau in den nächsten sechs Stunden zu betreten. Nur diejenigen, die den Herrschaften in drei Stunden das Abendessen servieren sollten, würden für kurze Zeit Zutritt haben.
    Jeff saß in dem Aufenthaltsraum für die Dienerschaft, der sich im südlichen Seitenflügel direkt neben dem Küchentrakt befand. Er blickte zu einem der drei Lichtschächte hinauf, die sich dicht unter der Decke befanden. Jetzt, im September, wurden die Tage schon merklich kürzer. Die Sonne konnte daher nur wenig zur Besserung der gedrückten Stimmung im Raum beitragen. Einige von der Dienerschaft spielten Karten. Andere unterhielten sich leise miteinander. Es war schon seltsam, wie wenig Enthusiasmus diese Männer für ihre Arbeit zeigten, wenn sie doch so reich dafür entlohnt wurden. Viele der Pagen waren wie Jeff nur Aushilfskräfte, wenn sie auch, im Gegensatz zu ihm, nicht zum ersten Mal an einer herrschaftlichen Tafel Speisen auftrugen. Möglicherweise hatten sie sich ja von dem Gerede in der Stadt anstecken lassen und schwankten nun zwischen frommen Bedenken und monetären Interessen.
    Für Jeff war die Sache klar. Wenn er sich einmal für etwas entschieden hatte, dann stand er auch dazu. Er würde diese Arbeit hinter sich bringen und nachher noch lange von ihren Früchten zehren, vielleicht sogar darauf ein neues Leben aufbauen. Punkt und Schluss. Wenn er sich nur nicht so langweilen würde!
    Der Laut einer hellen Glocke ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. Dieses Schellen wurde in der Küche ausgelöst, so viel wusste Jeff schon. Er beobachtete, wie Dudley das messingfarbene Endstück eines Schlauches aus seiner Halterung befreite und hineinpustete. Dann hielt er den wie eine kleine ovale Schale geformten Messingstutzen gegen den Mund, sprach etwas Unverständliches hinein und drückte sich das Schlauchende anschließend gegen das rechte Ohr. Nachdem er die seltsame Vorrichtung wieder in ihrer Halterung verstaut hatte, rief er in die Runde der Dienerschaft: »Die Küche hat heißen Tee für die Kutscher draußen zubereitet. Zwei große Kannen. Irgendwelche Freiwilligen, die den Tee zu den Ställen bringen?«
    »Hier, ich!«, rief Jeff, ohne lange nachzudenken. Jede Arbeit war besser als dieses tatenlose Herumsitzen.
    Fünf Minuten später stolperte er mit zwei emaillierten Riesenkannen über den Hof, immer darauf bedacht, sich dabei nicht die Füße zu verbrühen. Die Knechte und Kutscher empfingen ihn mit einem vielstimmigen Vivat. Nun, vielleicht waren es eher Spott- als Hochrufe, die sie auf den nicht einmal fünfeinhalb Fuß großen Knaben mit seinen nur unwesentlich kleineren Kannen ausbrachten, aber Jeff machte sich nicht viel daraus, war er auf diese Weise doch wenigstens dem miefigen Maulwurfsloch im Landhaus entkommen. Dudley hatte ihm gesagt, er könne sich ruhig Zeit lassen. Es genüge vollauf, wenn er gegen halb neun wieder zurück sei. Sollte die persönliche Dienerschaft der erlauchten Gäste noch irgendwelche Wünsche haben, dann solle er es ihn wissen lassen.
    Das Angebot hatte Jeff gerne angenommen, wenn ihm auch nicht sonderlich viel an der Gesellschaft dieser Kutscher lag, die sich allesamt für etwas Besseres hielten. Deshalb verabschiedete er sich schnell wieder, ertrug geduldig die Ermahnungen, sich nicht im Hauptgebäude blicken zu lassen, und versprach, später noch einmal vorbeizuschauen.
    Gemächlich schlenderte Jeff zum Dienstboteneingang zurück. Als er den südlichen Seitenflügel umrundete, fiel sein Blick auf den Park. Noch war es nicht völlig dunkel und er beschloss im Garten des Lords ein wenig lustzuwandeln, so wie es sonst wohl nur die erlauchten Herrschaften dieses Hauses taten.
    Während er die kiesbestreuten Wege abschritt, behielt er den langen Mittelbau im Auge. Dort, wo sich der große Wappensaal befand, schimmerte gedämpftes Licht aus den bunten Bleiglasfenstern. Sonst ließ sich nichts ausmachen – kein Schatten, der sich rührte, kein Laut, der in den Garten drang. Vielleicht war es ja auch besser so, sagte sich Jeff, hauptsächlich, um seine immer größer werdende Neugierde zu zügeln. Er umrundete die westliche Stirnseite des Mittelbaus und gelangte dadurch in die andere Hälfte des Parks.
    Unbewusst zog sich Jeff in den Schatten eines Baumes zurück und spähte zum Nordflügel hinüber. Dort lag das Zimmer, in dem Negromanus mit Mr Dudley gesprochen hatte.
    Der Raum war schwach erleuchtet. Jeff konnte vage eine dunkle Gestalt erkennen, die sich durch das Arbeitszimmer

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