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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Dieser neue Schatten musste Negromanus sein, am Hut und an der kräftigeren Statur unzweifelhaft zu erkennen. Der andere hielt den goldenen Ring nun zwischen den Fingerspitzen. Auf der gravierten Siegelfläche spiegelte sich das Petroleumlicht. Jeff glaubte in dem goldenen Schimmer ein rotes Funkeln zu erkennen. Keuchend stieß er die Luft aus; er hatte ganz vergessen zu atmen. Mit einem Mal wusste er, wen er da vor sich hatte. Dieser zweite Schemen musste Lord Belial sein!
    Verwirrt wanderten Jeffs Augen zur Tür. Es hätte ihm auffallen müssen, wenn Negromanus von dort gekommen wäre. Doch einen zweiten Eingang gab es nicht. Vom Garten her war der Raum praktisch lückenlos zu überblicken. Und die schlanken Mauerstege zwischen den Glastüren? Unmöglich. Eine Person von so baumstarker Statur wie Negromanus hätte sich niemals dahinter verstecken können. Aber er konnte doch unmöglich einfach so aus dem Nichts aufgetaucht sein!
    Für einen Moment führten Furcht und Neugierde in Jeff einen erbitterten Kampf. Sein Wissensdrang obsiegte überraschend schnell. Er musste unbedingt hinter das Geheimnis kommen. Was war an dem Gerede der Leute wirklich dran? Obwohl seine Knie noch ganz weich waren, schlich er wieder zu dem beschädigten Fenster. Die beiden Schemen standen mitten im Raum. Etwas an ihrem Anblick beunruhigte Jeff noch über das Maß seiner bisherigen Erregung hinaus, doch darauf konnte er sich jetzt nicht konzentrieren. Er musste lauschen. Denn die Gestalten sprachen miteinander.
    »… muss alles ganz schnell gehen. Hast du mich verstanden? Schnell und ohne Fehl. Nie darf jemand erfahren, was wirklich heute Nacht an diesem Ort geschehen ist.«
    Jeffs Herz setzte einen Moment aus und begann gleich darauf wie wild zu rasen. Wenn ihn schon Negromanus’ Stimme hatte erzittern lassen, dann verwandelte ihn diese nun in einen lebendigen Eiszapfen. Es musste der Lord sein, der da zur Eile drängte, zu welchem Zweck auch immer. Obwohl seine Worte für Jeff keinen Sinn ergaben, übten sie auf ihn eine Kraft aus, der er sich kaum widersetzen konnte. Er verspürte den unerklärlichen Drang sich dem Lord zu unterwerfen. Doch Jeff war stark. Während die Unterhaltung in dem Raum ihren Gang nahm, kämpfte sein Wille gegen die zwanghafte Vorstellung an.
    »Ich werde alles tun, wie Ihr es mir befohlen habt, mein Herr«, antwortete Negromanus unterwürfig.
    »Gut. Dann werde ich jetzt in den Wappensaal zurückkehren. Nach dem Nachtmahl wirst du das Werk vollenden, das ich dir aufgetragen habe. Aber vergiss nicht: Du bist mein Schatten. Kehre zu mir zurück, so schnell es irgend geht. Getrennt mögen wir zwar manche Angelegenheit geschickter handhaben können, aber dennoch sind wir so kaum mehr als gewöhnliche Menschen. Wir müssen unsere Macht wieder verschmelzen, damit wir unbesiegbar sind.«
    »Das weiß ich, Herr, und ich werde zurückkehren, sobald Ihr die Ringe verteilt und ich meinen Auftrag erfüllt habe.«
    »Dann geh jetzt.«
    Negromanus bewegte sich lautlos zur Tür und verließ den Raum. Nun war Lord Belial allein – abgesehen von dem stillen Beobachter, der draußen wie eine Steinfigur unter einem Busch hockte. Langsam, als würde er über etwas nachdenken, begann der Lord wieder im Raum auf und ab zu gehen. Als er von Jeffs Versteck weit genug entfernt war, zog sich der Junge vorsichtig zurück.
    Während Jeff sich auf allen vieren vom Haus entfernte, ließ er die schattenhafte Gestalt des Lords keinen Moment aus den Augen. Er hoffte, die Petroleumlampe würde sich drinnen stark genug in den Glastüren spiegeln, denn sonst musste ihn Belial zwangsläufig entdecken, wenn er jetzt zufällig zum Fenster hinaussah. Jeffs Herzschlag setzte erneut aus, als der Lord mit einem Mal zielstrebig auf seinen Schreibtisch zuging. In der fahl schimmernden Hand hielt er noch immer den funkelnden Siegelring. Behutsam, als setze er den letzten Stein in ein kompliziertes Mosaik, legte der Lord den Ring auf den Tisch. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
    Jeff verharrte noch einen Moment in seiner gebückten Haltung. In seinem Kopf drehte sich ein Knäuel wirrer Gedanken. Was er gehört hatte, beunruhigte ihn zutiefst, obwohl er nicht wusste, warum. Vielleicht lag es an dem ganzen Rahmen dieses verschwörerischen Gesprächs, dessen Zeuge er geworden war. Alles hatte so mysteriös geklungen. Du bist mein Schatten… Wir müssen unsere Macht wieder verschmelzen, damit wir unbesiegbar sind. Was sollte dieser Unsinn? Hielt

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