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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gewachsen. Infolge des Großen Krieges ging die Grippeepidemie wie eine Feuersbrunst über die Erde und raffte in wenigen Monaten mehr als doppelt so viele Menschen dahin, wie auf den Schlachtfeldern gestorben waren. Es gab kaum eine Familie, die keine Opfer zu beklagen hatte.
    Auch die Briefe einer anderen Person hinterließen bei David zwiespältige Gefühle, wenn auch wesentlich harmloserer Natur. Über Sir William hielt er weiterhin Kontakt zu Rebekka. Die Rosenbaums waren gegen Kriegsende nach Paris umgesiedelt. Als David seiner Freundin mitteilte, dass er sich den Familiennamen von Sir Isaak Newton ausgeliehen hatte, brachte sie in ihrem Antwortschreiben gleich wieder die Geschichte von Abrahams Sohn, dessen Schwiegertochter und den Kamelen aufs Tapet. David mochte dieses Mädchen wirklich. Aber warum konnte sie nicht einfach seine Freundin sein? Warum wollte sie ihn unbedingt gleich heiraten?
    Ein anderes Problem, das David neben seiner Ausbildung beschäftigte, hatte mit einem im Krieg gefallenen deutschen Gefreiten namens Johannes Nogielsky zu tun. Der Abschiedsbrief des Deutschen lag in dem Kästchen mit Vaters Vermächtnis. Beides behandelte er wie einen kostbaren Schatz. Nach Kriegsende hatte David an das Rote Kreuz in Genf geschrieben. Er wollte herausbekommen, wo Johannes’ Familie lebte, und ihr den Brief schicken. Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, am 28. Juni 1919, hatte Deutschland den Versailler Friedensvertrag unterzeichnet. David hoffte, damit würde wieder ein normaleres Zusammenleben in Europa möglich werden und bald auch sein eigenes, der Versöhnung dienendes Ansinnen gelingen können.
    Als David 1919 am University College in Oxford sein Studium begann, hatte er sich eine feste Marschroute vorgenommen: Er würde Englisch und Geschichte studieren. Für jemanden, der sich für die Honour School of Modern History einschrieb, wurde diese Kombination normalerweise erst gar nicht zugelassen, aber auch hier gelang es Sir William – selbst Oxford-Absolvent und angesehener Förderer der Universität –, für David eine Ausnahme zu erwirken. Der Eton-Absolvent wagte es sogar, noch einige Nebenfächer zu belegen.
    David wusste zwar noch nicht, ob er seinen Doktor machen würde, aber in jedem Fall wollte er anschließend als Journalist arbeiten. Die ersten Hürden auf diesem Weg hatte er ja schon erfolgreich gemeistert: Da war einmal das hervorragende School Certificate; auch konnte er während seiner Zeit in Eton bereits zwei Essays über japanische Gegenwartsgeschichte und drei kürzere Artikel in Londoner Tageszeitungen veröffentlichen; und last, not least, hatte er von Alfred Northcliffe ein festes Angebot in der Tasche, nach dem Studium bei einer seiner Zeitungen unterzukommen. Er würde ein rasender Reporter werden. Wenn er systematisch die Neuigkeiten aus aller Welt durchforstete, dann musste er früher oder später auf die Spur des Kreises stoßen.

 
    Neubeginn
     
     
     
    Die Studienzeit in Oxford war angefüllt mit aufregenden Entdeckungen. Seit der großen Schiffsreise von Japan nach Europa hatte David nicht mehr so in jenem Vorgang geschwelgt, den manche Kommilitonen abfällig mit dem Wort »Pauken« umschrieben.
    Zugleich betrieb er weiterhin seine Suche nach dem Kreis der Dämmerung. Nun war er auf dem besten Weg ein Historiker zu werden. In der ehrwürdigen Universität von Oxford, die sich aus nicht weniger als vierzig Colleges zusammensetzte, standen ihm Möglichkeiten zur Verfügung, gegen die Etons Büchersammlungen erbärmlich waren. Er wusste, ein Gegner war dann am wirkungsvollsten zu bekämpfen, wenn man seine Schliche kannte. Aber diese Erkenntnis allein war für ihn eher frustrierend als motivierend, denn so sehr er sich auch mühte die Geschichte der Menschheit zu durchleuchten, er wollte auf keine Spur des Kreises treffen, die auch nur lauwarm, geschweige denn heiß gewesen wäre.
    Studienanfänger im ersten und zweiten Jahr hatten sich, was die Unterkunft betraf, zu bescheiden. Natürlich hätte David auch hier seine Beziehungen spielen lassen können, um ein Zimmer für sich ganz allein zu bekommen, doch das war ihm nicht wichtig. Sein Studium in Oxford und auch die ins Auge gefasste berufliche Laufbahn dienten einem höheren Zweck, aber die zahllosen Nächte in kalten und schlammigen Schützengräben hatten ihn Genügsamkeit gelehrt.
    Trotz alledem ergatterte er ein schönes Zimmer in einem

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