Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
großen Langbau, direkt an der High Street. Wenn er das Gebäude morgens verließ, stolperte er sozusagen direkt in das University College hinein. Sein Zimmergenosse nannte sich großspurig Charles W. H. Callington. Wofür das W und das H standen, wollte Charly nicht verraten. Möglicherweise für gar nichts, wie David insgeheim vermutete. Der braunhaarige, etwas rundliche Kommilitone stammte aus Cornwall, war auf eine fast liebenswerte Art eitel und verstand sich vortrefflich auf die Unterscheidung von Biersorten. Nebenbei studierte er moderne Geschichte.
Charly hatte eine Gesichtsfarbe wie ein frisch gewaschenes Ferkel und war außerdem ziemlich geschwätzig. Am liebsten sprach er über seine Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Das legte sich allerdings nach einem Ereignis, das in den Beginn von Davids Studienzeit fiel. Zu vorgerückter Stunde war Charles W. H. Callington, nachdem er zuvor im Kings Arms eine nicht näher zu bezeichnende Anzahl pints braunen Biers absorbiert hatte, ins Schlafquartier gestürmt. David brütete gerade über einem Geschichtsbuch. Charly wollte ihm von einer Studentenschlägerei im Pub erzählen, aber Davids Interesse war sichtbar gering. Er drehte sich nicht einmal zu seinem Zimmergenossen um. Daraufhin begann der Sohn eines Landadligen mit einer Leidenschaft, die ihm nur seine braune Magenfüllung verliehen haben konnte, über David herzuziehen. Der sei nur neidisch, weil er, Charles W. H. Callington, es sich leisten könne, das Studium in aller Gemütlichkeit an sich vorüberziehen zu lassen. Als Emporkömmling, der nicht mal einen Adelstitel, geschweige denn einen weiteren Buchstaben in seinem Namenszug aufzuweisen habe, müsse David sich ja bei den Professoren anbiedern. Aber wer »von unten« stamme, würde nie ganz »nach oben« kommen. Er sei ein Verlierer und würde es auch bleiben – selbst wenn er grün vor Neid werde. Grün, grün…
Als David mit einem Mal sein dickes Buch zuknallen ließ, verschluckte sich Charly am dritten Grün. Der hagere Mr Newton erhob sich langsam vom Tisch, baute sich bedrohlich vor dem fülligen Mr Callington auf und sprach die Wahrheit in einer Weise aus, wie nur er es konnte.
»Wenn hier einer grün vor Neid ist, dann doch wohl du, Charly. Tief in deinem Innern weißt du, dass du ohne deinen Vater und seinen Titel gar nichts bist. Während er dir alles hinten und vorne reinsteckt, erarbeite ich es mir. Ich kann es mir erarbeiten, dessen bist du dir sehr wohl bewusst, aber könntest auch du es? Nein, mein Freund. Schau dich doch im Spiegel an: Dein Gesicht ist grün vor Neid und nicht meines.«
Charly lachte. Aber nur sehr kurz. Stattdessen beschlich ihn ein beklemmendes Gefühl. Langsam drehte er sich zu dem Spiegel um, der neben der Tür an der Wand hing. Von dort glotzte ihm ein froschgrünes Antlitz entgegen.
Entsetzt wischte sich Charly mit dem Ärmel seiner Jacke über das Gesicht, aber der Spiegel blieb stur. Er zeigte weiterhin Grün. Hierauf begann Charly schreiend aus dem Zimmer zu rennen und sich an die Aufgabe zu machen das ganze Haus aufzuwecken. Nachdem ihm das gelungen war, fing ihn der Hausmeister ein und schleifte ihn wieder ins Quartier zurück. Charlys Bierfahne im Verein mit der unnatürlichen Gesichtsfarbe veranlassten den Pedell eine Tirade von Vorhaltungen über den Studenten auszuschütten und ihm anschließend einen offiziellen Tadel vom Direktorium in Aussicht zu stellen.
Am nächsten Morgen war Charlys Gesicht wieder rosig wie immer. Von diesem Tage an kam David sehr gut mit ihm aus.
Im Frühjahr 1921 versetzten David aufregende Neuigkeiten in eine Unruhe, die er in diesem Grad lange nicht mehr erlebt hatte. Den Anlass gab ein Artikel in der Times, für die er ein Abonnement besaß. Diese urenglischste aller englischen Zeitungen beschrieb das, was da kommen sollte, in einer für dieses Blatt erstaunlich überschwänglichen Weise. Während David den Artikel las, holte er höchstens einmal Luft.
Der 3. März wird wahrscheinlich als einer der denkwürdigsten Tage der japanischen Geschichte angesehen werden, denn heute ist von Yokohama aus seine Kaiserliche Hoheit Prinz Hirohito zu seiner Reise nach England aufgebrochen. Noch nie zuvor hat ein Thronerbe Japans sein Heimatland verlassen und der hiermit geschaffene Präzedenzfall bezeichnet in der Geschichte der ältesten Dynastie der Welt einen Markstein, der fast mit der Restauration des Jahres 186 7 zu vergleichen ist.
Der Bericht erging sich
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