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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Bruchstücke kannte.
    Davids Augen trafen sich kurz mit denjenigen seines Freundes. Der junge Earl fühlte sich ertappt und flehte lautlos um Diskretion. Als Balus Gesicht Einverständnis signalisierte, wandte David sich wieder dem Anwalt zu.
    »David Newton«, sagte er bestimmt. »So will ich ab heute heißen.«
    »Warum nicht auch – wenn schon, denn schon – ein neuer Vorname?«
    »Ich heiße ja nicht Goliath. Davids gibt es wie leere Patronenhülsen an der Front. Niemand kann mit diesem Allerweltsnamen etwas anfangen.«
    Sir William war anzusehen, wie wenig ihm dieses seltsame Spiel behagte, aber er wollte dem jungen Mann, der in den letzten beiden Jahren so viel gelitten hatte, das Leben nicht noch unnötig erschweren. Irgendwann würde David seine Ängste schon wieder ablegen.
     
     
    Fünf Tage nach Davids Rückkehr auf die Britischen Inseln meldete sich ein junger Mann namens David Newton im Büro des Direktors der angesehenen Schule von Eton, Die Vorstellung des neuen Schülers war die Krönung einer von Sir Williams erstaunlichsten Manipulationen. Nicht jeder konnte in dieser britischen Nobelinstitution so einfach hereinspazieren und sagen: Guten Tag, ich bin Ihr neuer Schüler.
    »Guten Tag, ich bin David Newton, Ihr neuer Schüler«, begrüßte der junge Mann den Direktor mit einer respektvollen Verneigung.
    »Der Protege des ehrenwerten Sir William H, Rifkind«, erinnerte sich der schnauzbärtige Schulleiter sogleich, Sir William hatte behauptet, er plane den jungen Mister Newton zu adoptieren, und David hielt es sogar für möglich, dass der väterliche Freund es ernst meinte (die Vormundschaft hatte er jedenfalls schon in die Wege geleitet). Der Direktor wusste, dass David aus gutem Hause stammte, im Krieg Furchtbares erlitten sowie Heldenhaftes geleistet hatte und mit praktisch unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattet war. Das Schulgeld hatte der Anwalt gleich für ein Jahr im Voraus auf den Tisch gelegt, in den entbehrungsreichen Kriegsjahren ein für den Direktor wohltuender Anblick.
    In den kommenden zwölf Monaten schonte sich David ebenso wenig, wie er es auf den Schlachtfeldern der Somme und in Flandern getan hatte. Nur seine morgendlichen Schwertübungen nahm er nicht wieder auf. Mehr noch als seinen Körper wollte er jetzt seinen Geist stählen und so schnell wie möglich die Versäumnisse zweier Jahre aufholen. Mit dem School Certificate würde er dann nach Oxford gehen. In seinem Kopf stand der Plan schon fest – den formalen Teil würde Sir William schon regeln.
    Anfangs vermisste David seinen kleinen Leibwächter, der ihm früher einmal so lästig gewesen war. Aber seit er auf englischem Boden zur Schule gegangen war, hatte Batuswami Bhavabhuti stets über ihn gewacht. Er war sein Schatten gewesen. Sein ständiger Begleiter. Und nun, nach dem überraschenden Wiedersehen auf dem Kontinent, fehlte dieses treuherzige Anhängsel mit einem Mal wieder. Nur gut, dass Balu Dreibein bei Sir William untergekommen war. So konnten sie sich wenigstens ab und zu sehen.
    Für seine Mitschüler war David ein sehr schweigsamer Genosse, über den man wenig wusste. Bald ging das Gerücht um, er stamme aus Irland. Die Oberschlauen erhärteten ihre Annahme mit dem Verweis auf Davids hellrotes Haar. (Sie hatten keine Ahnung, dass er es einfach nur mit Henna wusch.) Man hätte ihn zweifellos innerhalb kürzester Zeit als einen eingebildeten Streber abgestempelt, wenn nicht bereits vor den Sommerferien eine Indiskretion geschehen wäre. Man munkelte, dieser junge Newton sei ein Kriegsheld. Er stände sogar ganz oben auf der Auszeichnungsliste der Generalität, nur noch eine Frage von Tagen, bis alle möglichen Orden über ihn niederhageln würden.
    Wie immer, wenn Gerüchte die Runde machen, gab es auch an diesem zwei oder drei Wahrheitspartikel. Selbst das mit den Orden stimmte. Die Berichte von Davids unermüdlichem Einsatz zur Rettung von Menschenleben waren zuletzt doch an einsichtige Ohren gedrungen. Über die Vernachlässigung seines Gewehrs sprach nun niemand mehr. Helden haben keine Makel.
    Eine der ersten Pflichten, derer sich David von Eton aus entledigte, war ein eindringlicher Brief an Alfred C. W. Harmsworth Northcliffe, den Zeitungsimperator des Landes und alten Freund der Familie. Wie David inzwischen wusste, gehörte Northcliffe zu den Männern, die seine vorzeitige Entlassung aus der Armee lanciert hatten, denn der Viscount war neben seiner Eigenschaft als Medienvisionär im letzten

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