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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Jahr auch der Chef der britischen Kriegsmission in den Vereinigten Staaten gewesen. Außerdem koordinierte er mit dem Titel eines Direktors die britische Propaganda gegen den Kriegsfeind. Sein Einfluss reichte so weit, dass manche ihn schon allein deshalb für größenwahnsinnig hielten. Einige glaubten gar, er könne alles erreichen, was in seinem Kopf herumspuke. Davids Bitte an den Pressemogul war da vergleichsweise bescheiden.
    Im Juli 1918 veröffentlichten die Londoner Times, die Daily Mail sowie fünf andere von Northcliffes unzähligen Blättern das Gedicht eines gewissen Wilfred Owen. Der Abdruck dieser kraftvollen und zugleich bedrückenden Verse gegen den Krieg waren insofern eine Besonderheit, weil Northcliffes Zeitungen sonst immer blumig zur Unterstützung der Armee aufforderten. Aber Alfred und sein Bruder Harold (sie gehörten zu den wenigen, die Davids wahre Identität kannten) wollten dem letzten und einzigen Nachkommen ihres verblichenen Freundes Geoffrey Camden seinen Wunsch nicht abschlagen. Und eingeschnürt in ein Korsett erläuternder Worte gelang es ihnen auch, Owen als einen vorbildlichen Märtyrer der gerechten Sache hinzustellen, für die Großbritannien kämpfe. Die von ihm beschriebenen Gräuel wurden selbstredend ausschließlich vom Feind begangen, so die kriegsfreundliche Presse.
    David war nicht sehr glücklich über diese Entstellung, aber als er einige Tage später in den besagten Blättern die Leserbriefe las, beruhigte er sich wieder. Die Macht des toten Poeten hatte sich doch als größer erwiesen als die hohlen Floskeln der Kriegstreiber. Alles in allem war er zufrieden seinem bewunderten Kameraden Wilfred zu diesem letzten großen Sieg verholfen zu haben.
    Bis zum Ende des Großen Krieges sollten sich für David noch zahlreiche Anlässe ergeben die beispiellose Ignoranz zu verurteilen, der so viele junge Leben geopfert worden waren. Eines Abends im August – er verbrachte seine Ferien bei Sir William und Balu – stieg er als Einziger in der Station Tottenham Court Road aus der Untergrundbahn. Dabei blieb sein Blick an einem Plakat hängen. Das fröhlich bunte Bild zeigte einen Vater im Anzug auf einem Sessel sitzen, am Boden spielte der Sohn mit kleinen Rotröcken und Kanonen. Die Tochter saß auf der Sessellehne und fragte: »Papi, was hast du im Großen Krieg gemacht?« Der Vater auf dem Plakat antwortete nicht. Er sah sehr schuldbewusst aus.
    David sträubten sich die Haare. Da wurde den Familienvätern noch ein schlechtes Gewissen eingeredet, wenn sie ihre Söhne und Töchter nicht zu Waisen machen wollten. Nachdem die tube aus dem Bahnhof gerollt war, drehte er sich unauffällig nach rechts und links. Es war gerade niemand zu sehen, der ihn beobachten konnte. Dann packte er einen abstehenden Zipfel des Plakats und riss es von der Tafel. Nachdem er das Pamphlet in einen Papierkorb geworfen hatte, stapfte er zornig davon.
    Neben dem Unterrichtsstoff, den David inhalierte, als verfüge er über eigens dafür geschaffene Kiemen, holte er auch alles nach, was in den vergangenen Monaten unbeobachtet an ihm vorübergezogen war. Bei mancher Nachricht musste er an Rebekka denken und daran, wie dieser junge Mensch die Welt betrachtete, in die er hineingeboren worden war. Seltsam, manchmal kam sich David schon unendlich alt vor.
    Im Juli 1918 zeichnete sich die große Wende im Krieg ab. Erstmals gelang den Alliierten in der Champagne der große Durchbruch. Bis September hatten die amerikanischen Verbündeten eine Million zweihunderttausend Soldaten nach Europa verschifft. Die Achsenmächte mussten mit dem auskommen, was ihnen an Menschen und Material noch geblieben war. Immer häufiger war nun von Friedensinitiativen die Rede.
    Doch inzwischen führte unter den Alliierten längst der amerikanische Präsident Wilson das Wort. In New York trompetete er stolz vom Rednerpult, eine Verhandlung mit Regierungen, die ihre »Politik auf Gewalt stützen«, komme nicht infrage. Es war klar, wonach ihm der Sinn stand: Woodrow Wilson wollte die Monarchien in Deutschland und Österreich-Ungarn stürzen (der russische Zar hatte ja bereits abgedankt).
    Wenn er gewusst hätte, welch totalitären Kräften er damit Tür und Tor öffnete, wäre er vielleicht etwas behutsamer vorgegangen. Dazu hätte nicht einmal allzu viel Scharfsinn gehört, denn in Russland tobte bereits ein blutiger Bürgerkrieg. Trotzki, Lenins Waffenbruder, hatte nach dem vorzeitigen Ausstieg seines Landes aus dem Großen Krieg

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