Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Welt aus wie Gangrän.«
Im Saal herrschte jetzt Totenstille. Jedes Murmeln war erstorben. Nur Belials anklagende Stimme schwebte wie ein betäubender Nebel im Raum. Jeff kannte diese Wirkung und er tat alles, um seinen Willen dagegen zu wappnen. Er sandte sogar in regelmäßigen Abständen Stoßgebete gen Himmel, in der Hoffnung, dieser würde ihm einen unsichtbaren Panzer herabschicken, mit dem er die giftigen Geschosse aus Belials Mund abwehren konnte.
»Die Menschenwelt ist zum Untergang verurteilt«, fuhr der Lord nach einer angemessenen Pause fort. »Daran lässt sich nichts deuteln. Ihre Dekadenz und moralische Verkommenheit, ja, der fortschreitende Verfall jeglicher Werte wirkt wie eine schleichende Krankheit, die über kurz oder lang die Erde zerfressen würde wie Aussatz das Fleisch eines Menschen. Ihr alle wisst das, Brüder. Nicht von ungefähr hat der Kreis der Dämmerung all die Jahrhunderte hindurch seinen Einfluss vermehrt, um einen neuen Morgen für die Menschheit herbeizuführen. Jetzt ist unser Ziel zum Greifen nah! Die Jahre des Erwachens sind angebrochen, die Dämmerung steht bevor!«
Belial erlaubte seinen Zuhörern ein erwartungsvolles Raunen, ließ einen seiner Gäste – der Hautfarbe nach zu urteilen ein Afrikaner – sogar die Stimme zu einer Frage erheben.
»Ehrenwerter Großmeister Belial, wir alle kennen die Geschichte unseres Geheimzirkels. Die meisten von uns sind Söhne einer langen Reihe von Ahnen, die ebenfalls schon dem Kreis der Dämmerung verpflichtet waren. Doch wie wollt Ihr den von Euch erwähnten neuen Tagesanbruch herbeiführen? Wie soll die Menschheit von ihrem Übel befreit werden?«
Belial antwortete mit einer Gegenfrage. »Wie würdet Ihr ein eitriges Geschwür in der Haut bekämpfen, Kamboto?«
»Man muss es ausbrennen oder mit einer scharfen Klinge herausschneiden, Großmeister.«
»Ihr sagt es, mein Bruder. Was krank ist, muss weggeschnitten werden. Schon in der Heiligen Schrift der Christen wird gesagt: ›Und jeder, der nicht im Buch des Lebens geschrieben stand, wurde in den Feuersee geschleudert.‹ Ergo braucht die Erde einen Neuanfang, sie muss geläutert werden, bevor die Menschen sich und ihre Welt zur Gänze vernichtet haben.«
»Einen Neuanfang?«, warf ein anderes Mitglied der Runde ein. Die Gesichtszüge des Mannes deuteten auf eine spanische oder südamerikanische Herkunft hin. »Bei allem Respekt, ehrenwerter Großmeister, aber das klingt für mich nach einem Weltenbrand. Wären wir nicht ebenso entartet, wenn wir einen solchen ›Heilungsplan‹ entfachten, wie jene, die Ihr, ehrenwerter Großmeister, gerade eben erst – und das zu Recht – verurteilt habt? Müsste es nicht den Tod zahlloser Unschuldiger bedeuten, wenn…«
»Graf Zapata!«, zischte Belial und schnitt dem Bedenkenträger damit das Wort ab. »Dieser sensible Zug an Euch ist Uns völlig fremd. Es sind doch nicht nur Kaffeeplantagen, die Ihr von Sao Paulo aus dirigiert. Ihr seid in ganz Südamerika ein mächtiger und gefürchteter Mann. Euer Einfluss reicht bis zum brasilianischen Kaiser hinauf und Wir wissen, dass Ihr bisher auch nicht zimperlich wart, wenn Ihr für die Interessen unseres Bundes – und wohl auch für die Euren – gestritten habt. Warum also jetzt diese plötzlichen Skrupel?«
»Ich sehe da gewisse Unterschiede, ob man von der Eliminierung einiger Dutzend oder gar von Millionen Menschen spricht, Großmeister.«
»Ihr habt die Dimension Unseres Plans sehr gut erkannt, Graf Zapata. Nichts anderes haben Wir von einem Mann wie Euch erwartet. Aber wenn es denn wirklich diese Ungleichheiten gibt, die Euch zu schaffen machen, dann bedenkt, was auf dem Spiel steht: Die ganze Menschheit ist dem Untergang geweiht. Wenn man ein Geschwür herausschneidet, dann muss man auch etwas von dem gesunden Fleisch entfernen. Das ist unvermeidbar. Sonst würde die Krankheit bald von neuem ausbrechen, vielleicht sogar schlimmer und tödlicher als beim ersten Mal.«
»Ehrenwerter Großmeister.« Es war der japanische Delegierte, der sich da zu Wort meldete, ein hagerer Mann, der alle seine Tischnachbarn um fast einen ganzen Kopf überragte.
»Teruzo«, antwortete Lord Belial fast liebevoll. »Ihr seid Uns der treueste Unserer Brüder. Habt Ihr etwas zu sagen, das Unserem Grafen dabei helfen kann, seine Bedenken zu zerstreuen?«
Der Asiate verneigte sich höflich. »Wenn es denn so etwas gäbe, ehrenwerter Großmeister, dann dies: Ihr habt in Euren Entscheidungen nie gefehlt.
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