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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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in Flandern…« Die Erinnerung schnürte ihm die Kehle zu.
    Tolkien tätschelte noch einmal Davids Arm. »Lass uns über die Zukunft sprechen, Kamerad. Ich habe im Lazarett die Weichen für mein zukünftiges Leben gestellt: Ich möchte ein ausgezeichneter Hochschullehrer werden, nach Möglichkeit einer der jüngsten Oxford-Professoren, und ich werde ein Buch schreiben. Und wie sieht dein weiterer Lebensweg aus?«
    David atmete tief durch. Seine Gedanken liefen schneller, als es die Zunge gestatten wollte. Ich werde den Kreis der Dämmerung sprengen – oder es wenigstens versuchen. »Mir ist auf dem Krankenlager klar geworden, dass ich den Menschen und der Wahrheit dienen möchte.«
    »Und wie willst du das erreichen?«
    Ais journalistisches Trüffelschwein – ich grabe die Welt um, bis ich Belial zu packen kriege. »Zum Teil so wie du: mit Feder oder Schreibmaschine.«
    Tolkiens Augen wanderten über den Tisch zu dem Buch neben Davids verschränkten Armen. Erst jetzt schien er den Kopf stehenden Titel zu entziffern. »Du liest das Beowulf-Epos?«
    Aus reiner Verzweiflung. In den Geschichtsbüchern habe ich noch nichts über den Kreis der Dämmerung gefunden. »Ja, wieso?«
    »Oh, ich habe mich eingehend damit beschäftigt. Vielleicht werde ich sogar eine wissenschaftliche Arbeit darüber veröffentlichen. Darf ich das Buch sehen?«
    David reichte es ihm.
    »Das ist ja die Ausgabe von 1815!«, staunte Tolkien. »Wo hast du die her?«
    Aus dem Nachlass von Sir William. »Von einem guten Freund.«
    »Geliehen?«
    »Er hat sie mir vermacht.«
    »Dann muss er ein wirklich guter Freund gewesen sein.« Tolkien betrachtete den Einband von innen und von außen. »Wunderschön! Was du da hast, ist die erste gedruckte Ausgabe des Beowulf überhaupt. Eine echte Rarität! Wie gefällt dir der Inhalt?«
    Er hat mich verunsichert. »Ein bisschen schwülstig vielleicht. Dieser Beowulf besiegt Monster und Drachen, als kämpfe er gegen Vogelscheuchen.«
    »Es ist eine Allegorie auf den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, eingefangen in Beowulfs Leben. Als er Grendel, das erste Monster, besiegt, steht er in der Blüte seiner Kraft. Danach regiert er nicht weniger als fünfzig Jahre als König. Und dann kommt es zu dem entscheidenden Kampf. Beowulf ist schon hoch betagt. Stell dir einen Hundertjährigen vor, der gegen ein Ungeheuer, einen mächtigen Drachen kämpft, dann hast du eine ungefähre Vorstellung, wie sich unser Held vorgekommen sein muss.«
    David starrte Tolkien entgeistert an. Ein Hundertjähriger, der gegen ein Ungeheuer kämpft? »Wie…« Sein Mund war ganz trocken. Er musste zunächst einen Schluck aus dem Glas nehmen, bevor er seine Frage stellen konnte. »Wie geht die Geschichte aus? Ich habe sie noch nicht ganz gelesen.«
    »Ich wollte dir nicht vorgreifen…«
    »Nein, nein, schon gut. Was ist das Ende des Epos?«
    Tolkien hob die Schultern. »Das Übliche eben: Beowulf stirbt.«
    »Oh!«
    »Ja, aber der Drache ist auch hin.«
    David reckte den Hals im Kragen, als würde sein Kopf in einer Henkersschlinge stecken. »So etwas nennt man wohl Glück im Unglück.«
    »Die meisten Kritiker sehen in Beowulfs aufopferndem Tod weniger eine Tragödie als vielmehr das passende Ende eines guten – manche behaupten auch, zu guten – Heldenlebens. Es ist eben nur eine Geschichte.«
    Und wenn es mehr ist? Möglicherweise so etwas wie eine Prophezeiung? Vielleicht hätte ich mich schon viel früher mit mittelalterlicher Lyrik befassen sollen, anstatt meine Zeit mit Geschichtsbüchern zu verplempern. »Hast du schon einmal etwas vom Circle of the Dawn, vom Kreis der Dämmerung, gehört?« David hatte sich weit über den Tisch gebeugt und seine Frage auffällig leise gestellt.
    Tolkien schmunzelte. »Du fürchtest wohl einer deiner Kommilitonen könnte dir deine Magisterarbeit stehlen, was?«
    Eher mein Leben. »Kann schon sein. Beim Kreis der Dämmerung muss es sich um einen Geheimzirkel oder um eine Loge handeln. Bist du bei deinen Studien vielleicht schon einmal auf etwas Ähnliches gestoßen?«
    Tolkien dachte auffällig lange über Davids Frage nach. Und als er endlich antwortete, hörte es sich zunächst wie der Auftakt zu einem abendfüllenden sprachwissenschaftlichen Vortrag an.
    »Betrachten wir deine Frage doch einmal unter etymologischen Gesichtspunkten: Das englische Wort circle – ›Kreis‹ – stammt ebenso wie das mittelenglische cercle vom lateinischen circulus. Das wiederum lässt sich auf den Stamm circus

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