Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
zurückführen…«
»Schon«, unterbrach David, der nicht begriff, wohin dieser Diskurs führen sollte, »Circus maximus, Gladiatorenkämpfe, ›Brot und Spiele‹ – das kenne ich alles. Aber was haben die Römer mit dem Kreis der Dämmerung zu tun?«
»Moment«, antwortete Tolkien beschwichtigend. »Ich komme gleich darauf. Wie du ganz richtig anmerkst, steckt auch im Namen der berühmtesten römischen Arena das Wort circus. Und was ist ein solcher Circus?«
»Ein Ei.«
Tolkiens Stirn legte sich in Falten der Verzweiflung. Studenten waren überall gleich. »Sprechen wir lieber von einem lang gezogenen Ring. Gehen wir jetzt noch ein wenig weiter in der Geschichte der Sprachen zurück, präzise gesagt, bis zum alten Hellas. Das lateinische circus ist nicht zufällig dem griechischen kirkos so ähnlich. Das wiederum ist verwandt mit krikos, was ebenfalls ›Ring‹ bedeutet.«
David seufzte. »Na schön. Wenn ich dich richtig verstehe, dann könnte der Name des Geheimzirkels, wenn er denn alt genug ist, auch ›Ring der Dämmerung‹ bedeuten. Und was soll mir das nützen?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich ein Buch schreiben möchte.«
»Über Beowulfs Leben und Leiden, ich weiß.«
»Nein, das meine ich nicht. Was mir wirklich am Herzen liegt, ist ein Roman, der den klassischen Epen nacheifert. Ich möchte darin eine neue Welt erschaffen, ›Mittelerde‹ soll sie heißen. Ein Titel für das Epos schwebt mir auch schon vor: Der Herr der Ringe. Wie gefällt dir das?«
David wäre fast vom Stuhl gerutscht. Einen Moment lang drehte sich alles um ihn herum. Einzelne Worte und Satzgebilde schossen durch seinen Geist wie elektrisch geladene Aale. Und immer wieder tauchte darin ein Bild auf, das sein Vater ausführlich in dem Diarium beschrieben hatte. David glaubte fast vor seinen Augen den Kreis der goldenen Ringe erscheinen zu sehen, den der Küchenjunge Jeff vor vierzig Jahren auf einem Schreibtisch im Wald von Kent erblickt hatte.
»Wie… wie bist du gerade auf diesen Titel gekommen?«, stammelte David.
»Dir scheint er nicht besonders zu gefallen. Es gibt da einige alte Legenden, auf die ich im Verlaufe meiner philologischen Studien gestoßen bin. Sie haben mich zu dem Thema meines Epos inspiriert.«
»Legenden über Ringe?«
»Der Ring oder Kreis ist ein uraltes mythologisches Symbol. Er wird häufig als Sinnbild für die Unsterblichkeit der Seele oder den unendlichen Kreislauf aus Geburt, Tod und Wiedergeburt gebraucht.«
David nickte verstehend. »Daher auch der Brauch den Toten einen Kranz aufs Grab zu legen. Hast du auch etwas über spezielle Geheimbünde, Zirkel oder sonstige Gruppen herausgefunden, für die der Kreis oder die von dir erwähnte Unendlichkeit eine besondere Bedeutung haben?«
»Hinweise auf die Unendlichkeit gibt es zuhauf. Leider bin ich noch kein Universalgenie.« Tolkien grinste. »Meine Kenntnisse erstrecken sich hauptsächlich auf die altnordische und keltische Mythologie. Natürlich gibt es immer noch Druiden oder solche, die sich dafür halten. Aber da ich nicht genau weiß, worauf deine Fragen überhaupt hinauslaufen, vermag ich auch nicht zu sagen, ob die dir weiterhelfen könnten.«
»Hast du schon einmal etwas von einer großen Weltenreinigung gehört, aus der eine neue, sozusagen geläuterte Menschheit hervorgehen wird?«
»Hm, ich würde es mal bei den Kabbalisten versuchen.«
»Bei wem?«
»Die Kabbala ist eine jüdische Geheimlehre. Meine Kenntnisse darüber sind mehr als lückenhaft, aber soweit ich weiß, speist sich ihre Mystik unter anderem aus Elementen des Neuplatonismus. Und der hat ja bekanntlich auch das Urchristentum beeinflusst – hauptsächlich durch die Lehre von der unsterblichen Seele. Und damit schließt sich wieder der Kreis. Denke an König Artus’ Tafelrunde. Einmal davon abgesehen, dass der sich auch die Ringform für seinen Konferenztisch ausgesucht hat, mischen sich in dieser Gestalt Christentum und alter keltischer Mystizismus. Ich habe bei meinen Studien einige interessante Verweise auf eine dunkle Person gefunden, die das Element des Bösen versinnbildlicht. Sie stiftet die Menschen zu allen möglichen Bosheiten an, wobei sie sich gelegentlich auch der Gestalt eines Engels des Lichts bedient. Dieser Fürst der Schatten wird in Quellen, die teilweise mehrere hundert Jahre auseinander liegen, auf sehr ähnliche Weise beschrieben – entweder haben die Verfasser also voneinander abgeschrieben…«
»Oder dieser Fürst denkt nicht
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