Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
eine solche Veränderung unter den Menschen herbeiführen?«
»Dieser Einwand ist berechtigt, Scheich Abufari. Hat jemand von den anderen Brüdern hierzu einen Vorschlag zu machen?«
»Ein alter Baum biegt sich nicht gern«, sagte Teruzo Toyama leise, auf den Lippen ein maskenhaftes Lächeln. Er musste bei Belial wirklich über großes Ansehen verfügen, wenn er einfach so unaufgefordert das Wort ergriff. »Man könnte es auch so ausdrücken: Willst du ein Land ohne Schwertstreich erobern, dann musst du dir nur seine Kinder nehmen.«
Belials schattenhafter Kopf schien ein Nicken anzudeuten. »Sehr weise, Teruzo!« Und sich an die anderen wendend fügte er hinzu: »Unser Bruder Toyama spricht, als könnte er Unsere Gedanken lesen. Es nützt nichts, wenn wir alles bisher Besprochene im Falle einiger Könige und Minister, Admiräle und Feldmarschälle, Bischöfe und Ayatollahs sowie Handelszaren und Bankiers verwirklichen. Der Kreis der Dämmerung muss sein Programm in die Köpfe von Kindern und jungen Menschen pflanzen.« Natürlich müsse die globale Verbreitung eines bestimmten Gedankenguts den Logenbrüdern angesichts der immensen Entfernungen und der unterschiedlichen Kulturen auf diesem Planeten wie ein aussichtsloses Unterfangen erscheinen, dozierte Belial wie über einen erdumspannenden Bekehrungsfeldzug. Auch das sei ein Grund für die Langfristigkeit des Jahrhundertplans. Es werde der Zeitpunkt kommen, vielleicht noch vor Ablauf der halben Frist, und die Menschen würden ein Mittel erdenken, mit dem schon der Geist kleinster Kinder manipuliert werden konnte. Sie würden Bilder sehen, als hätten sie Visionen. Anfangs würden sie darüber lächeln, sie für Märchen halten, aber irgendwann würden diese Bilder zu ihren Gedanken und dann begännen sie, daraus eine neue Wirklichkeit zu schaffen.
Jeff hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er hockte hinter dem Vorhang und verfolgte wie benommen die »Visionen« des Lords. In vielen Einzelheiten legte der seinen Brüdern dar, wie die Menschen im Laufe von einhundert Jahren präpariert werden müssten, um sich zuletzt selbst das Messer an die Kehle zu setzen. »Womöglich werden sie sogar dann noch vor dem letzten, entscheidenden Schritt zurückschrecken«, schloss der Schattenlord seine Ausführungen. »Das wird unser Tag sein. Zu diesem Zeitpunkt wird Unser Auserwählter die Klinge führen. Eine winzige Kleinigkeit wird ausreichen, um das Pulverfass zum Explodieren zu bringen: Die alte Erde wird in einem Feuersturm vergehen, damit wir aus ihrer Asche eine neue erstehen lassen können. Das ist der Zeitpunkt der Dämmerung.«
Unvermittelt schwieg Belial. Niemand sonst wagte jetzt das Wort zu erheben. Bei Jeff bewirkte die unerwartete Stille genau das Gegenteil. Er erwachte aus seiner Erstarrung und sah sich nach dem Ausgang um. Wie spät war es? Lief Mr Dudley womöglich schon schimpfend durch den Keller und rief seinen Namen? Jeff war sich nicht sicher, ob das, nach allem, was er gehört hatte, überhaupt noch eine Rolle spielte. Sollte er sich nicht besser hinausschleichen und so viele Meilen wie möglich zwischen sich und The Weald House bringen? Er war doch nur ein Junge, erst vierzehn. Selbst wenn er ein sehr hohes Alter erreichte, würde er die schreckliche Erfüllung des Jahrhundertplans niemals erleben.
Während er sich schon zur Tür der Galerie hin orientierte, hörte er jemand fragen: »Ehrenwerter Großmeister, wir alle werden zu unseren Vorvätern gehen, bevor der Plan erfüllt sein wird. Sollen wir unser Vermächtnis an unsere Söhne weitergeben, so wie es auch bisher geschehen ist? Oder verlangen die vermehrten Anstrengungen unseres Läuterungswerkes eine andere Vorgehensweise?«
»Das wollen Wir Euch gerne verraten, Bruder von Papen. Ein jeder von Euch, der dem Jahrhundertplan treu dient, erhält dafür einen reichen Lohn: Euer Leben soll um ein Zwölffaches verlängert werden. Sobald Ihr uns Euren Schwur geleistet habt, wird ein jeder von Euch das Leben all seiner Brüder in sich tragen. Damit wird der Kreis der Dämmerung ein Bund auf Leben und Tod, denn wenn nur einer von Euch den Treueschwur bricht oder aus einer Unvorsichtigkeit heraus sein Leben einbüßt, werden auch alle anderen das Maß eines Menschendaseins, ein Zwölftel ihrer eigenen Lebensspanne, verlieren. Seid Ihr alle bereit hier und jetzt diesen Bund mit Uns zu schließen?«
Jeff bekam es mit der Angst zu tun. Was da unten im Saal geschah, war entweder ein grandioser Schwindel
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