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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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derart okkultes Treiben ließ David schaudern. Wie könnte er an der Existenz dunkler übernatürlicher Kräfte zweifeln? Aber sie auch noch herauszufordern – das grenzte für ihn an Irrsinn.
    Dennoch gab es selbst ernannte Heilspropheten, die diese »außergewöhnlichen Erkenntniswege« sogar als eine willkommene Alternative zu den traditionellen Religionen ansahen. Helena Petrowna Blavatsky, die Mitbegründerin der Theosophischen Gesellschaft, war eine dieser düster schillernden Persönlichkeiten. Sie behauptete mit einem höheren Wesen Kontakt gehabt zu haben, das ihr für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einen neuen Weg zur globalen Beeinflussung der Jugend verhieß.
    Mit Schaudern musste David an den Vortrag Lord Belials denken, den er inzwischen auswendig kannte. Konnten die auffälligen Parallelen zu Mme. Blavatskys übernatürlichen Offenbarungen nur ein Zufall sein? Oder diente sie mit ihrer Geheimlehre und anderen ihrer Bücher in Wirklichkeit Belial als Medium, als ein Famulus des Bösen?
    David hatte schon so lange darum gekämpft, Licht in das Dunkel um den Kreis der Dämmerung zu bringen, dass ihn diese ersten kleinen Erfolge nun unweigerlich zu größeren Anstrengungen anspornten. Doch je weiter er jetzt in dieses Dickicht von Andeutungen vordrang, desto größer wurde die Gefahr sich zu verstricken. Schon stieß er auf verwirrende Verzweigungen.
    Ein in Kroatien geborener Österreicher namens Rudolf Steiner hatte sich 1913 von Mme. Blavatskys unheimlichem Club gelöst und anschließend die Anthroposophische Gesellschaft ins Leben gerufen. Seine Überzeugung, die übersinnliche Welt durch wissenschaftliche Erforschung ausloten zu können, mündete schließlich in der Gründung einer besonderen Schule, die er »Goetheanum« nannte.
    Lohnte es sich, diese Fährte zu verfolgen? Immer häufiger musste sich David nun diese Frage stellen, nachdem er sich von Tolkien in dieses Labyrinth von verwirrenden Fakten hatte locken lassen.
    Ein anderer viel versprechender Hinweis ergab sich aus seinen Nachforschungen zu den Jahrhundertkindlegenden. In Vaters Vermächtnis stand, dass Davids Hebamme diesbezüglich einige Andeutungen gemacht hatte. Wenn er herausfand, wie ein anderes seiki no ko das Unheil von der Welt hatte abwenden können, dann ließen sich daraus möglicherweise nützliche Rückschlüsse ziehen. Von dieser Motivation getrieben, wurde er schließlich beim Taoismus fündig.
    Diese von Laotse begründete Lehre vertrat die Ansicht, dass Unsterblichkeit durch ein Leben im völligen Einklang mit der Natur erlangt werden konnte. Die chinesische Geschichte berichtete, Kaiser Shih Huang Ti habe im Jahr 219 v. Chr. eine Flotte mit dreitausend Jungen und Mädchen ausgesandt, damit sie die legendäre Insel P’eng-lai entdeckten. Von diesem Aufenthaltsort der Seligen sollten sie das Unsterblichkeitselixier mitbringen. Die meisten Quellen sagten, die Kinder seien ohne den Wundertrunk zurückgekehrt, aber an einer Stelle traf David auf eine Abweichung. Aus der Transkribierung einer alten Handschrift ging hervor, dass sechzig Kinder verschollen blieben. Sie würden immer noch auf der Insel der Seligkeit leben und wenn die Menschen sie benötigten, dann würden sie ihnen zu Hilfe eilen. Jedoch dürften sie die Insel nicht länger als hundert Jahre verlassen, sonst würden sie unweigerlich sterben wie jeder normale Mensch auch.
    David schwirrte der Kopf. Das hörte sich ja wirklich so an, als gebe es eine kleine Schar von Jahrhundertkindern, die schon früher in Erscheinung getreten waren. Aber es fehlte weiterhin der entscheidende Hinweis. Er wusste weder, ob er den Ring zerstören durfte, noch, wie seine »Amtsvorgänger« gehandelt hatten. In der Nacht träumte er, die Millionen Bücher der British Library regneten alle auf einmal aus der Kuppel des großen Lesesaals auf ihn herab und begruben ihn unter einem Berg, in dem irgendwo auch die Wahrheit steckte. Aber wo?
    Im Frühjahr 1924 kam David zu der Einsicht, dass nicht nur Geheimgesellschaften dazu angetan waren, verschwörerische Pläne zu verbergen, sondern ebensogut auch eine Flut von Informationen die Wahrheit verschleiern konnte. Wenn er nicht aufpasste, würde selbst sein hundertjähriges Leben nicht ausreichen, um den Kreis der Dämmerung zu entlarven.
    Es ist somit nicht verwunderlich, dass David abgelenkt wirkte, als Rebekka ihm gegen Ende ihres einjährigen Dienstes bei den Greenboroughs diskrete Signale sendete, die er entweder

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