Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
nicht bemerken konnte oder wollte. Sie hatten sich kennen und lieben gelernt, aber das Thema Heirat war bisher ausnahmslos von Rebekka angesprochen worden.
Sie konnte natürlich nicht wissen, wie intensiv ihn diese Frage tatsächlich beschäftigte. Aber gerade durch seine neuen Erkenntnisse bei der Suche nach dem Kreis der Dämmerung war ihm auch eines bewusst geworden: Er kämpfte gegen einen schlauen, mächtigen und ungemein gefährlichen Gegner. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass ein französisches Mädchen bisher erfolgreicher war als Negromanus, die rechte Hand Lord Belials. Rebekka hatte David aufgespürt, wie lange würde es wohl noch dauern, bis dies auch dem dunklen Schemen gelang?
Daraus ergab sich für David ein Dilemma, das den klassischen Tragödien in nichts nachstand. Einerseits liebte er Rebekka wie keinen anderen Menschen auf der Welt, aber andererseits konnte er sie – gerade wegen dieser Liebe – nicht heiraten. Er würde sie doch nur noch mehr in Gefahr bringen, als er es ohnehin schon in den letzten Monaten getan hatte. Sollten Belial oder Negromanus ihn jemals finden, würden sie Rebekka gewiss ebenso wenig verschonen, wie sie das mit seinen Eltern, mit Sir William und wohl auch nicht mit Sir Northcliffe getan hatten.
Also schwieg David. Und litt.
Rebekka tat das Gleiche auf ihre Art. Sie wurde immer ruhiger. Zwar traf sie sich weiterhin mit David – sie hätte es nicht ertragen, sich früher als nötig von ihm abzunabeln –, aber jetzt gingen die beiden nur noch selten tanzen. Im Kino saßen sie nebeneinander und keiner wusste, was überhaupt gespielt wurde. Charly Chaplin verausgabte sich eifriger als je zuvor, doch Rebekka lachte nicht.
Am 4. Mai – sie spazierten gerade Hand in Hand durch den Hyde Park – sagte Rebekka aus heiterem Himmel zu David: »In vier Wochen fahre ich nach Paris zurück.«
Die Ankündigung traf ihn wie ein Donnerschlag. Er blieb sofort stehen und blickte völlig verstört in ihre dunklen Augen. »Aber… Ich dachte, du wolltest hier studieren oder ein Konservatorium besuchen?«
»Die Sorbonne ist eine ausgezeichnete Universität und wenn ich mich doch für eine musische Ausbildung entschließe, dann finde ich in Paris bessere Institute als auf dieser Insel hier.«
David schluckte. »Und was ist mit mir?«
»Ja, David. Was ist mit dir?«
»Ich meine, liebst du mich denn nicht mehr?«
Der beherrschte Ausdruck in Rebekkas Gesicht geriet ins Wanken. Ihre Unterlippe begann zu zittern und in ihre Augen schlich sich ein auffälliger Glanz. »Natürlich liebe ich dich noch. Deshalb werde ich ja nach Frankreich zurückgehen.«
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Das ist ja das Problem mit euch Männern!« Nun liefen Rebekkas Augen über und dicke Tränen rollten ihre blassen Wangen hinab.
David schwitzte in seinem Sonntagsanzug, als stände er vor einem Hochofen. Unbeholfen griff er nach ihrer anderen Hand. »Bekka, nun weine doch bitte nicht. Mir ist immer noch nicht klar, was dich plötzlich zu deinem Entschluss bewogen hat.«
»Du willst mich nicht heiraten«, brach es endlich aus ihr heraus, zusammen mit einem Sturzbach weiterer Tränen.
»Aber…!« Was sollte er ihr nur sagen? Seine Gedanken verschlangen sich mit den Worten zu einem wirren Netz von Andeutungen.
Belial könnte dich töten. Der Gedanke ist unerträglich für mich. »Es gibt da gewisse Dinge in meiner Vergangenheit, die du noch nicht weißt.«
Rebekka fischte ein Spitzentaschentuch aus ihrem Handtäschchen und tupfte sich die Tränen ab. »Was soll das heißen? Bist du etwa derjenige, der die Mona Lisa gestohlen hat? Sie hängt doch längst wieder im Louvre. Ich heirate dich trotzdem.«
Wenns nur das wäre! »Unsinn, Bekka. Ich bin kein Verbrecher, aber du weißt selbst, dass ich unter falschem Namen lebe. Hast du dich nie gefragt, warum?«
»Ich denke, weil dir jemand an den Kragen will.«
Kann sie Gedanken lesen? »Wie kommst du darauf?«
»Erstens habe ich die Geschichte nicht vergessen, die du Mama und mir damals aufgetischt hast, als Balu in Hazebrouck aufgekreuzt ist, und zweitens kann ich eins und eins zusammenzählen, David.«
Dass sie sich daran noch erinnert! Also gut. Vielleicht kann ich sie mit einem Teilgeständnis beruhigen. »Was ich damals in Frankreich über das Schicksal meiner Familie erzählt habe, war eine eher harmlose Fassung der Wahrheit, Bekka. Es gibt da einige Hintergründe, die du noch nicht kennst. Wenn du sie erst erfährst, wirst du es
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