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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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dir dreimal überlegen, ob du mit mir das Leben teilen willst.« David erklärte ihr so wenig wie möglich und so viel wie nötig, damit sie seine wahren Motive begreifen konnte: Er liebte sie, aber er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Niemals!
    Rebekka hörte sich alles an. Ab und zu schniefte sie und bemühte erneut ihr Taschentuch. Als David endlich fertig war, sagte sie: »Ich glaube, du weißt immer noch nicht, wie sehr ich dich eigentlich liebe, David. Sollte die Bande von Meuchlern, die deine Eltern und Freunde umgebracht hat, wirklich noch hinter dir her sein, warum hat sie dich dann noch nicht erwischt? Ich konnte dich doch schließlich auch aufspüren. Und außerdem: Wenn ich als deine Frau gefährdet bin, warum dann nicht auch als deine Braut? Weshalb hat mir im letzten Jahr keiner etwas zuleide getan?«
    Lieutenant Hastings hätte seine wahre Freude an dir, Bekka. Du hast ja Recht. Aber ich habe trotzdem Angst, dass dieser Schatten nur auf unsere Hochzeit wartet, um dich mir dann wegzunehmen. Vielleicht ist das ja sein Plan: Er will mich zerstören, indem er mir alle Menschen nimmt, die mich lieben. »Ich… Ich weiß nicht, Bekka. Mir kommt es irgendwie verkehrt vor. Können wir nicht einfach noch eine Weile warten?«
    Rebekka funkelte ihn eine ganze Weile aus ihren feuchten Jettaugen an. Dann sagte sie entschlossen: »Also gut. Du hast noch Zeit bis Ende Mai.«
     
     
    Sie war nicht um ein Jota gewichen. Er hatte mit Menschen- und Engelszungen geredet und sie hatte ihm genau so viel Zeit zugestanden wie vor diesem unerquicklichen Gespräch.
    Wieder einmal erlebte David einen Mai, dessen Wonnen mit der Lupe zu suchen waren. Dieser Eindruck war natürlich rein subjektiv. Andere hatten ihre helle Freude an den langen warmen Tagen, dem Duft des Flieders, den gelben Signalfeuern des Löwenzahns, dem Geschwebe und Geschwirr von Samen, Insekten und Zeitungsjungen.
    David hatte gerade einen Artikel über Kaiser Taishos mangelhafte Gesundheit und die sich möglicherweise daraus ergebenden politischen Konsequenzen verfasst. Inzwischen nahm Hirohito als Prinzregent einen Großteil der Amtsgeschäfte seines Vaters wahr. Für jemanden, der seine Artikel von London aus schrieb, glänzte David durch ganz außerordentliche Detailkenntnisse. Aber der Respekt, den man ihm in der Redaktion mittlerweile als Japan-Kenner zollte, konnte ihn auch nicht fröhlicher stimmen. Er befand sich in einem furchtbaren Dilemma und er wusste nicht, wie er sich daraus befreien konnte.
    Er liebte Rebekka. Oh ja! Wenn er jemals einen Menschen geliebt hatte, dann sie. Aber wie konnte er sie dann der furchtbaren Gefahr aussetzen seine Frau zu werden?
    Die letzten Tage bis zu Rebekkas Abreise zerrannen ihm förmlich zwischen den Fingern. Rebekka hatte sich nun völlig von ihm zurückgezogen. Er belagerte regelrecht das Haus der Greenboroughs, aber sie ließ sich nicht sehen.
    An der Tür sagte man ihm, Mme. Rosenbaum wünsche ihn nicht zu sprechen. David hinterließ Briefe. Als er den fünften abgeben wollte, öffnete ihm ein Dienstmädchen von etwa fünfzig, das sich mit Rebekka gegen ihn verschworen haben musste.
    Die Hausangestellte schaffte es, ihn von oben herab zu mustern, obwohl sie mindestens einen Kopf kleiner als David war. Vielleicht entstand dieser Eindruck auch nur, weil er unter ihrem missbilligenden Blick sichtlich zusammenschrumpfte. Als er das ihr angemessen erscheinende Maß erreicht hatte, streckte sie ihm das ungeöffnete Kuvert mit dem vierten seiner Friedensangebote entgegen. Mademoiselle erwarte von ihm eine ganz bestimmte Erklärung, zischte sie ihn an. Er wisse schon, welche. Alles andere sei vielleicht aufrichtig gemeint, breche ihr aber nur das Herz. Er möge sein Billetdoux wieder mitnehmen. Rumms! Das Zufallen der Tür beendete das Gespräch.
    David war verzweifelt. Am Tag vor Rebekkas Abreise suchte er Professor Greenborough im Balliol College auf. Das Mädchen benehme sich höchst eigenartig, rede kaum noch und weine viel, berichtete der Professor. Dabei sah er David an, als habe er einen Kapitalverbrecher vor der Nase. »Wenn Sie ein Ehrenmann sind, Sir, dann räumen Sie aus der Welt, was immer zwischen Ihnen und diesem hochanständigen Mädchen steht. Und heiraten Sie es.«
    In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni wälzte sich David schlaflos im Bett. Am nächsten Morgen würde Rebekka in den Zug steigen und ihn für immer verlassen. Er zerwühlte seine Bettdecke, als könne er in den Tälern ihrer Falten eine

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