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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Antwort auf seine Fragen finden. Konnte er Rebekka ein Leben in Angst zumuten? Konnte er sie einfach gehen lassen? Konnte er es vor seinem eigenen Gewissen verantworten, ihr diesen Schmerz zuzufügen? Ja, konnte er selbst überhaupt noch ein Leben ohne sie führen?
    Irgendwann gegen drei fiel er aus dem Bett. Er hatte es natürlich vorausgesehen, aber alles, was er noch tun konnte, war, den Sturz zu verlangsamen. Seine Reaktionen waren träge wie die eines Betrunkenen. Minuten später hatte er sich aus dem Haus geschlichen.
    London schlief zwar nie, aber um diese frühe Stunde war die Stadt beinahe ebenso lethargisch wie der junge Mann, der da an der Themse entlang Richtung Süden stapfte. Sein Ziel stand fest: Victoria Station.
    Endlich hatte er seinen Entschluss gefasst. Er musste Rebekka zurückhalten. Es ging nicht anders. Ohne sie würde ihm die Kraft fehlen das durchzustehen, was noch vor ihm lag. Er musste sich ihr anvertrauen, ihr die ganze schreckliche Wahrheit seiner Bestimmung verraten. Und wenn sie ihn dann immer noch haben wollte, dann…
    »Haben Sie einen Schilling für mich, Sir?«
    David erschrak. Der Mann war plötzlich hinter einem Baum bei den Victoria Tower Gardens hervorgetreten und versperrte ihm den Weg. Er trug einen zerrissenen Mantel, einen ausgebeulten Hut und einen ungepflegten Vollbart. Seine linke Hand war David entgegengestreckt, aber die rechte steckte in der Manteltasche. Eine Alkoholwolke umschwebte ihn.
    »Scher dich fort!«, fuhr David den Mann barscher an, als es sonst seine Art war. Seine tiefe Versunkenheit hatte offenbar selbst die Sekundenprophetie außer Kraft gesetzt. Diese Unvorsichtigkeit war unentschuldbar. David haderte mit sich selbst und der Bettler bekam es nun zu spüren.
    Der Mann griff die plumpe Vertraulichkeit des reichen Pinkels auf und erwiderte: »Ich habe dich höflich gefragt. Du könntest mir ruhig eine Kleinigkeit geben. Dir tut’s doch nicht weh.«
    David bedauerte längst, dass er diesen armen Hund so schäbig behandelt hatte. Er konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als er selbst ohne feste Bleibe durch die Straßen von London gestreunt war.
    »Warte«, sagte er und langte in seine Brusttasche. Erst in diesem Moment entdeckte er, was der Strolch wirklich beabsichtigte.
    Noch ehe das Messer in der Hand des Mannes aufblitzen konnte, hatte David schon seinen Gegenangriff eröffnet. Er machte einen schnellen Schritt auf seinen Gegner zu, packte dessen rechten Arm und wirbelte den ganzen Mann herum. Ein lauter Schmerzensschrei verriet David, dass etwas nicht stimmte.
    Natürlich hätte er jetzt fortlaufen können. Die Redakteure der Times waren ja nicht gerade dafür verschrien, dass sie frühmorgens Penner abstachen. Aber was war, wenn dieser Mann verblutete, nur weil er seinen Raubüberfall zu einer ungünstigen Zeit verübt hatte? Nein, er musste etwas tun.
    Seltsamerweise steckte die Hand des Schurken noch samt Stilett in dessen Tasche. Er schrie und jammerte, als David die Klinge herauszog und die Wunde notdürftig versorgte, so wie er es unzählige Male auf dem Schlachtfeld getan hatte. Dann bedeutete er dem Verletzten zu warten, bis er Hilfe geholt habe.
    Vermutlich hätte er sowieso nicht weglaufen können, sagte sich David, während er die Houses of Parliament umrundete. In der Hand hielt er das blutige Messer. Er war hier – direkt auf der anderen Straßenseite – lange genug zur Schule gegangen, um zu wissen, wie groß in dieser Gegend die Bobby-Population war. Beim Bewachen eines der größten Heiligtümer des britischen Empire konnte man sie praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit antreffen. Bald hatte David einen Uniformierten ausgemacht.
    Als er für den Bobby die Situation umrissen und ihm die Tatwaffe gezeigt hatte, blies der zunächst in seine Trillerpfeife, nahm dann David das Stilett ab und lief anschließend in sein Wachhäuschen, wo er eilends telefonierte. Sobald die Verstärkung angerückt und instruiert war, lief David in Begleitung zweier Uniformierter zu den Grünanlagen zurück, wo er den verunglückten Raubmörder zurückgelassen hatte. Der wollte sich gerade aus dem Staub machen, hatte dabei aber wenig Erfolg. Seine Wunde blutete wieder stark und er konnte sein rechtes Bein so gut wie gar nicht bewegen.
    »Was haben Sie mit dem Mann gemacht?«, fuhr Constable Smith, einer der beiden Polizisten, David an.
    »Ich, mit ihm?« David verschlug es für einen Moment die Sprache.
    »Er wollte mich umbringen. Beschützen Sie

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